Das Leben ist nichts für Feiglinge

Welche beiden Autoren erhalten den diesjährigen Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis? Am kommenden Freitag, 15 Uhr, gibt die Jury im Festsaal der VHS ihre bereits jetzt getroffene Entscheidung bekannt. SZ-Mitarbeiterin Ruth Rousselange hat aus den zwölf nominierten Autoren zwei ausgewählt, deren neue Bücher ihr besonders gut gefallen haben.

 Finn-Ole Heinrich (links) und Jörg Isermeyer. Foto: Dylan Thompson / privat

Finn-Ole Heinrich (links) und Jörg Isermeyer. Foto: Dylan Thompson / privat

Foto: Dylan Thompson / privat

Einst lebte Maulina im Paradies oder doch wenigstens in ihrem eigenen Königreich, Mauldawien, wo es einfach alles gab. Lange Frühstücke, finstre Dachböden, Geheimverstecke und 84 Topfpflanzen. Bis man sie daraus vertrieb, von einem Tag auf den anderen zogen sie und ihre Mutter in ein winziges Reihenhaus. Maulina hat keinen Schimmer wieso, ist sich aber sicher, dass "der Mann” Schuld ist, im vorherigen Leben "Papa” genannt. Mit "Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt” hat der Hamburger Autor Finn-Ole Heinrich einmal mehr ein bezaubernd unkonventionelles Kinderbuch geschrieben - über ein Mädchen mit dem Herzen am rechten Fleck, viel Mut und einem untrüglichen Gespür dafür, wie das Leben sein sollte. Nur ist das Leben leider nicht immer wie gewünscht, weshalb Maulina regelmäßig ohrenbetäubende Maulanfälle kriegt, die die Vögel von den Bäumen fegen.

Finn-Ole Heinrich, der seit 2005 erst mit abgründigen, teils verstörenden Erzählbänden und Romanen für Jugendliche und Erwachsene Furore machte, wie "Die Taschen voll Wasser” oder "Räuberhände”, schreibt Kinderbücher, die reinstes Lesevergnügen bereiten. Er ist Wortschöpfer und Sprachkünstler auf hohem Niveau, ohne je das Gespür für die kindliche Sicht der Dinge zu verlieren. Da ist nichts gestelzt, nichts bevormundend, alles echt und pur. Weder überhebliche pädagogische Botschaften versucht er an die jungen Leser zu bringen, noch biedert sich Heinrich thematisch oder mit oberflächlicher Coolness an, wie es leider oft im Kinderbuchsegment geschieht. Egal wie ernst das ist, was erzählt wird - auch bei Maulina geht es keineswegs nur ums Umziehen -, nie lässt der Autor einen gewissen Sinn für Humor missen. Das Leben kann fies sein, aber irgendwie muss man durch.

Sein erstes Kinderbuch "Frek, du Zwerg” über einen zu klein geratenen Jungen mit großer Lebenslust, die er sich von niemand vermiesen lassen will, ist 2012 gleich mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet worden. Mittlerweile gibt es zum Buch ein Musiktheaterstück, die "Räuberhände” sind Abiturprüfungsthema an Hamburger Gymnasien und kommen im dortigen Thalia-Theater auf die Bühne. Heinrich dreht zudem Kurzfilme, Musikvideos und Dokumentationen, die regelmäßig ausgezeichnet werden. Auch seine kraftstrotzende "Maulina”, (Band 2 gibt's auch schon) mit liebevoller Chaos-Komponente illustriert von Rán Flygenring, wird sicher einen Siegeszug antreten.

Finn-Ole Heinrich: Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt. Hanser, ab 10 Jahre, 168 Seiten, 12,90 Euro.

Bei Lukas passiert nie etwas Außerordentliches, alles normal, Star-Wars-Spiele am PC, einen nervigen Kontrollfreak als Mutter. Bis die kratzbürstige Jule in sein Leben platzt, die sich wenig mädchenhaft benimmt, auf Mauern steigt, bei anderen Leuten in die Wohnung glotzt und sich einfach bei ihm zum Mittagessen einlädt. Diese Jule ist eine Marke, entgegen eigenem Willen findet Lukas sie zunehmend sympathisch, aber es gibt da einen Punkt, wo er bei ihr nicht weiterkommt, das Mädchen scheint ein Geheimnis zu haben.

Jörg Isermeyers zweites Buch, der Kinderroman "Alles andere als normal”, erzählt mit viel Humor die Geschichte einer besonderen Freundschaft, die sich bewähren muss. Nicht jeder wird so behütet groß wie Lukas. Viele besitzen wenig, wie Jules Familie, sie sind arm, die alleinerziehende Mutter ist überfordert, aber Jule resigniert nie, sondern macht das Beste aus allem. Sie erfindet zu arglosen Passanten amüsantes "Straßenkino” und staubt anderswo listig Mahlzeiten ab. Doch manchmal kommt es so arg, dass es gut ist, einen Freund wie Lukas zu haben.

Jörg Isermeyer, in Bad Segeberg geboren, studierte Psychologie, Soziologie, Pädagogik und reiste lange als Straßenmusiker durch Europa. Er ist ein Multitalent, nicht nur Autor, auch Schauspieler, Theaterpädagoge und Regisseur. Zu seinem neuen Kinderbuch gibt es als Pendant ein Theaterstück: "Ohne Moos nix los” heißt es, ausgezeichnet mit dem Berliner Kindertheaterpreis. Komponist ist Isermeyer auch und als Musiker bei "Pankraz” oder "Milch und Blut” zu bewundern. "Alles andere als normal” jedenfalls ist bei aller angesprochenen gesellschaftlichen Unbill kein Problembuch, sondern die warmherzige Geschichte einer guten Freundschaft mit brillanten Dialogen.

Jörg Isermeyer: Alles andere als normal. Beltz & Gelberg, ab 10 J., 213 S., 12,95 Euro.

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Auf einen BlickDie weiteren Nominierungen: Judith Allert: "Paula und Lou", Charlotte Inden: "Anna und Anna", Salah Naoura: "Hilfe! Ich will hier raus!", Frank Reifenberg & Gina Meyer: "Die Schattenbande legt los", Anne-Gaëlle Balpe: "Aristote in love", Jean-François Chabas: "Récits extraordinaires", Gaia Guasti: "La tête dans les choux", Claire Mazard: "Le mas du Paon bleu", Pascal Ruter: "Du bonheur à l'envers", und Carole Zalberg: "Je suis un arbre".red

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