Das Leben des anderen

Saarbrücken. "Es tut mir leid." - "Ich weiß." Damit ist für die beiden Männer das Grundsätzliche gesagt. Der eine ist Hartmut Rosinger, ein ehemaliger Stasi-Spitzel; der andere, Peter Wulkau, ist sein Opfer. Ihre Geschichte erzählt Heike Bacheliers bemerkenswerte Dokumentation "Feindberührung"

Saarbrücken. "Es tut mir leid." - "Ich weiß." Damit ist für die beiden Männer das Grundsätzliche gesagt. Der eine ist Hartmut Rosinger, ein ehemaliger Stasi-Spitzel; der andere, Peter Wulkau, ist sein Opfer. Ihre Geschichte erzählt Heike Bacheliers bemerkenswerte Dokumentation "Feindberührung". Anhand von Stasi-Akten und Gesprächen zeichnet sie einen Leidensweg nach: wie die DDR-Staatssicherheit in den 70ern den ihr zu kritisch scheinenden Leipziger Philosophie-Studenten Wulkau ins Visier nimmt, ihn exmatrikuliert und in die "Produktion" versetzt - körperliche Arbeit zum Abgewöhnen allzu viel Nachdenkens. In Magdeburg setzt die Stasi einen "inoffiziellen Mitarbeiter" auf ihn an: Hartmut Rosinger, "damals Marxist", wie er selbst sagt, und "anfangs stolz" darauf, dass die Stasi ihn anwirbt. Eine einseitige Freundschaft entsteht. Der in Ungnade Gefallene vertraut sich Rosinger an, der alles sofort weitergibt. Wulkau wird zeitweise von 39 Stasi-Mitarbeitern observiert und belauscht. 1978, als er heimlich eine Satire über die DDR schreibt, zieht sich die Schlinge zu: Verhaftung, Verhör, Verurteilung zu viereinhalb Jahren Haft "wegen staatsfeindlicher Hetze". Nach vorzeitiger Entlassung siedelt Wulkau 1981 nach Westberlin über. Rosinger, der scheinbare Freund, bringt ihn sogar noch zum Bahnhof - und berichtet der Stasi, bis zuletzt.Zwölf Jahre später, Mauer und DDR sind Geschichte, meldet sich Rosinger bei Wulkau, gesteht, erklärt, versucht, sich zu entschuldigen. In "Feindberührung" lesen sie gemeinsam alte Stasi-Akten, gehen durch die kalten Ruinen der Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Magdeburg. Ein beklemmender Film, auch durch die eisige Bürokratensprache des paranoiden Staatsapparats: "Außerhalb des Kollektivs" bewege sich Wulkau, deshalb beschließe man "Abwehrmaßnahmen mit zersetzendem Charakter". Sprich: das Vernichten einer Existenz.

"Was macht den einen Menschen zum Dissidenten, den anderen zu einem IM? Das war für mich die Grundfrage", sagt Heike Bachelier, die zwei Jahre lang am Film gearbeitet hat. Durch den Erfurter Autor Matthias Wanitschke ("Das Menschenbild der Stasi") hatte Bachelier von Rosinger und Wulkau erfahren. "Darüber musste ich einfach einen Film machen." Beide, Spitzel und Opfer, hätten sich schnell auf das Projekt eingelassen, "auch wenn Rosinger anfangs wünschte, dass ich sein Gesicht im Film durch Verpixelung unkenntlich mache, was für mich aber ausgeschlossen war." Das Schuldeingeständnis und das öffentliche Reden darüber sei "für Rosinger ein ungeheurer Schritt, ein sehr schwerer Prozess. Er muss ja jeden Morgen in den Spiegel schauen und sich eingestehen, dass er andere verraten hat." Dieses Geständnis begrüßt nicht jeder. "Seine Frau hat Zweifel, einige Freunde werfen ihm vor, er suche nur eine Bühne." Als die Spitzeltätigkeit durch den Film in Rosingers Wohnort Bad Langensalza bekannt wurde, habe er sich tagelang nicht aus dem Haus getraut, sagt Bachelier. Andererseits: Bei einer Vorführung von "Feindberührung" in Erfurt habe ein Zuschauer erklärt, er könne nicht akzeptieren, dass man sich dafür entschuldige. "Das erstaunt mich nicht, im Osten gehen die Meinungen darüber weit auseinander."

Bacheliers hat ihren Film nicht dramatisch aufgeheizt, sondern erzählt dort ruhig, wo andere Dokus vielleicht Spielszenen und hektische Schnitte eingesetzt hätten. "Analyse interessiert mich mehr als Drama", sagt sie. Auch hätte sich diese Erzählform schon durch Wulkau ergeben. "Er hat das Ganze überhaupt überstanden, indem er es intellektualisiert und sich so distanziert hat." Wulkau halte seine Emotionen im Zaun - nur so könne er überhaupt mit Rosinger reden, dem er immerhin "hoch anrechnet", dass der sich als einziger bei ihm gemeldet hat. "Nur deshalb können sich die beiden heute in die Augen schauen." Die Spannung zwischen den beiden ist mit Händen zu greifen. Als Rosinger sich rhetorisch zu sehr der Rolle eines schuldlos Verstrickten nähert, fragt Wulkau knapp: "Bist Du also zu Unrecht befördert worden?"

Termine im Fernsehen: Montag 0:30 Uhr, ZDF; Sonntag, 9. Oktober, 20.15 und 1.45 Uhr, ZDFkultur. Informationen:

Zur Person

Heike Bachelier, 1966 in Dudweiler geboren, in Bonn aufgewachsen, arbeitet während des Politik-Studiums als Regisseurin für Live-Sendungen von Tele 5 und WDR; danach entwickelt sie bei einer Produktionsfirma in Köln Dokumentationen. 1991 zieht sie nach England in die Nähe von Brighton, wo sie mit ihrem Partner Andy Heathcote unter dem Banner "trufflepigfilms" unabhängige Dokumentationen dreht, die sie direkt im Internet vertreibt. 2008 entsteht "The lost world of Mr. Hardy" über die Faszination des Fliegenfischens und ein traditionsreiches Familienunternehmen, das Angelaustrüstungen herstellt. Zurzeit arbeitet sie an "The Moo Man" über einen Landwirt, der verzweifelt versucht, seinen Hof vor dem Ruin zu retten. tok

 Heike Bachelier (Foto: MacDonald)

Heike Bachelier (Foto: MacDonald)

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