„Das Krokodil aus dem Jangtse“

Peking · Über die Plattformen von Alibaba werden 80 Prozent des Online-Handels in China abgewickelt. Außerhalb Chinas kennt das Unternehmen bislang kaum jemand. Das dürfte sich sehr bald ändern.

Eine Tastatur hatte er bis zu seiner Reise 1995 in die USA nicht berührt. Dort surfte er zum ersten Mal im Internet - und nahm das wie ein Wunder wahr. Ma Yun, mittlerweile 49 Jahre alt und unter seinem englischen Namen Jack Ma besser bekannt, erwähnt diese Begebenheit gern. Sie hat sein Leben verändert und auch den Alltag vieler Chinesen. Es ist eine Geschichte, die längst zu einer Gründungslegende des Internet-Riesen Alibaba geworden ist. Fast so bekannt wie Mas Spruch: "Ebay ist ein Hai im Ozean, Alibaba ist ein Krokodil im Jangtse. Wenn wir im Meer schwimmen, verlieren wir, aber im Fluss gewinnen wir."

Den Fluss hat das Krokodil längst erobert. Die Alibaba-Gruppe beherrscht heute 80 Prozent des chinesischen Online-Handels. Nun wagt sich das Krokodil hinaus übers Meer. Der Konzern, der knapp 21 000 Menschen beschäftigt, will an die New Yorker Börse. Es könnte der größte Börsengang seit Facebook werden. In US-Medien wurde über ein Volumen von 15 bis 20 Milliarden Dollar spekuliert. Das soziale Netzwerk Facebook erlöste vor zwei Jahren 16 Milliarden Dollar.

Alibaba hat laut Anlegerprospekt 231 Millionen Käufer und acht Millionen Verkäufer, die auf den Plattformen im vergangenen Jahr Geschäfte über 248 Milliarden Dollar abwickelten. Der Konzern ist damit beim Handelsvolumen nach eigenen Angaben größer als Amazon oder Ebay. Alibaba bietet jedoch nicht selbst Waren an, sondern vermittelt lediglich. Das Unternehmen verdient sein Geld unter anderem durch Werbung, Gebühren für Handelsgeschäfte sowie Mitgliedsbeiträge. Von April bis Dezember vergangenen Jahres kam so ein Umsatz von 6,5 Milliarden Dollar zustande, und der Gewinn lag unterm Strich bei 2,9 Milliarden Dollar.

Selbst vorsichtige Schätzungen des Unternehmenswerts liegen bereits bei mehr als 160 Milliarden Dollar. Alibaba wird damit fast so hoch bewertet wie die US-Unternehmen Amazon und Facebook. Nur, außerhalb Chinas kennt Alibaba kaum jemand. Auch sein Gründer Ma, gerade einmal 1,50 Meter groß, kommt stets auf leisen Sohlen daher.

Ma Yun wurde 1964 als Sohn von Schaustellern in Hangzhou in Südostchina geboren. Heute steht dort die schicke Konzernzentrale. In der Schule entdeckte Ma seine Liebe zur englischen Sprache. Er schaffte es nicht an eine Elite-Universität und absolvierte stattdessen das Lehrerseminar in Hangzhou. Später unterrichtete er Englisch - bis zur besagten Reise in die USA.

Zurück aus Amerika gründete er das Online-Verzeichnis "China Pages", eine der ersten Homepages im Land. Erfolg hatte er damit nicht. 1999 folgte der nächste Versuch, mit 17 Kollegen in seiner Wohnung: alibaba.com ist geboren.

Ma ist wie viele chinesische Unternehmer ein Mann der Gegensätze. Er versprüht geradezu kalifornischen Unternehmergeist. Er verbeugt sich aber auch vor Chinas kommunistischer Partei. Mehrfach hat er Verständnis für das Massaker an Regimekritikern 1989 auf dem Tiananmen-Platz gezeigt. Auch die Internetzensur der Partei billigt er.

Heute umfasst Alibaba die Auktionsplattform Taobao, den Bezahldienst Alipay, den Kurznachrichtendienst Weibo. Seit Kurzem werden auch Finanzdienstleistungen angeboten. Rund 600 Millionen Chinesen nutzen das Internet, knapp die Hälfte der Bevölkerung. Und die Branche wächst. Nicht nur bekommen immer mehr Chinesen Zugang zum Netz, sondern es steigt auch die Zahl derer, die im Internet ihr Geld ausgeben. Bei Alibaba zum Beispiel.

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