Das Kleingeisterhaus

Saarbrücken · Der Komödienschreiber Aristophanes (445-385 v.Chr.) war ein politischer Autor. Seine Stücke schockierten und amüsierten die Athener. In Saarbrücken hatte am Samstag „Die Vögel“ Premiere – eine Enttäuschung.

 Schattenmänner: Jack (Hans-Georg Körbel, vorn), Jim (Klaus Müller-Beck) und Brendan (Pit-Jan Lößer hinten, von links) an ihrem Lieblingsplatz, dem Pub. Foto: Stage Pictures/Thomas Jauk

Schattenmänner: Jack (Hans-Georg Körbel, vorn), Jim (Klaus Müller-Beck) und Brendan (Pit-Jan Lößer hinten, von links) an ihrem Lieblingsplatz, dem Pub. Foto: Stage Pictures/Thomas Jauk

Foto: Stage Pictures/Thomas Jauk
 Georg Mitterstieler (l.) und Thomas Schmidt. Foto: Björn Hickmann

Georg Mitterstieler (l.) und Thomas Schmidt. Foto: Björn Hickmann

Foto: Björn Hickmann

Was für ein eigentümlich kleines Stück das doch ist! Da schaut man knapp zwei Stunden lang dem Leben von vier Taugenichtsen und der auch nicht gerade Glücksverwöhnten Valerie zu. Sieht, wie das kleinkarierteste Provinzdasein in einem irischen Pub zum Schauspiel deklariert wird. Was einfach so dahinfließt, so wie die Kerle ohne Punkt und Komma schwadronieren, grummeln und manchmal bloß noch brabbeln, weil zu viel Bier, zu viel Whisky die Zunge schwer macht.

Warum wollte Conor McPherson unbedingt von diesem Quintett erzählen? Weshalb ist "Das Wehr" (1997 uraufgeführt) für den irischen Dramatiker zum Bühnenhit geworden - in Irland, England und vor 15 Jahren auch in Deutschland? Nach zwei Stunden in der Alten Feuerwache weiß man's. Weil dieses kleine Stück enorme Sogkraft hat. Weil man in jedem dieser Typen, in ihren Hoffnungsscherben, ihren Sehnsuchtstrümmern etwas auch von eigenen Lebensenttäuschungen wiederfindet. Und weil das, wenn es solch' Klasseschauspieler sind wie hier, die ein Regisseur so einfühlsam führt, richtig rührend sein kann. Rührend in seiner Jedermannstragik, aber auch rührend komisch.

Regisseur Christoph Diem und Ausstatterin Isabelle Kittnar brauchen dazu nicht viel. Ein Wolkenwiesenwind-Panorama; Klischee-Irland halt. Davor eine schräg gestellte Plattform: Das soll der Pub sein, in dem die Fünf zu ihrem Tresentheater ansetzen. Während der Regen bedrückend rauschend die Begleitmusik dazu spielt.

Diem hat die Alte Feuerwache regelrecht klein gemacht, sie auf Studiobühnen-Format konzentriert, was der Intimität des Stückes nur gut tut. Und eines wird schnell klar: Der Pub ist wie eine Insel, eine Zuflucht im Meer drohender Einsamkeit. Hier wenigstens haben die Single-Männer Gesellschaft. Für den rotbärtigen Brendan, der als Wirt selbst sein bester Kunde ist, wird jeder Schritt vom Tresen weg bereits zum Abenteuer: Pit-Jan Lößer spielt ihn als gutherzigen Einfaltspinsel. Auch Gelegenheitsarbeiter Jim zählt zur Stammbesatzung des Pub. Vielleicht hat Klaus Müller-Beck aber etwas zu viele Stephen-King-Verfilmungen intus. Bei ihm mutiert der harmlose Kauz zum nervösen Zitterer, der stets kurz davor scheint, zur Axt zu greifen. Jack dagegen, der hätte wohl die nötige Aggressivität in sich. Ein Mann wie ein Vulkan. Sein mieses Leben in seiner Autowerkstatt brodelt in ihm. Irgendwann muss das doch mal raus. Denkt man, dann aber lässt Hans-Georg Körbel diesen Kerl einfach in sich zusammenfallen - geradezu erloschen. Wie Körbel das nur schon in seiner Stimme inszeniert, ist großes Theater.

Finbar trägt als Einziger keine Stiefel, keine Regenmontur. Er hat den ererbten Hof verkauft, ging in die Stadt. In feiner Lederjacke und Slippern will er anders sein. Doch so erdenschwer wie Andreas Anke ihn auftreten lässt, trampelt da eben auch nur ein rausgeputztes Landei rum.

Er ist es auch, der Valerie ins Pub bringt. Sie ist frisch aufs Land gezogen - um Ruhe zu finden. Die noch junge Frau aber, die plötzlich in diese Männerwirtschaft eindringt, stört die Trostlosigkeit, in der sich Brendan, Jack und Jim fast schon wohlig eingerichtet haben. Sie wirkt wie ein Katalysator, der das Leben der Kerle noch mal in Gang bringen könnte: Die Männer buhlen um sie und tun, was Iren gerne tun: Sie erzählen Spukmärchen. Bis schließlich auch Valerie erzählt. Von ihrer Tochter Nief, die bei einem Schwimmunfall ums Leben kam. Keine schaurige Einbildung, nein, reales Unglück, das Valerie wie ein Geist verfolgt. Christiane Motter bringt das ohne Schreien, ohne Tränen und darum umso überzeugender.

Ja, es sind die Gespenster, die wohl beinahe jeder mit sich herumschleppt und nicht los werden kann, um die es Conor McPherson wohl geht. In seinem kleinen Stück, das in der Feuerwache ganz groß wird.

Weitere Aufführungen: 23., 29. und 31. Januar. Karten unter Tel. (06 81) 3 09 24 86.

Weder Hand noch Fuß hat dieser Abend im Großen Haus. Dafür aber wohl Flügel, die uns in ein archaisch-fremdes Märchenreich führen? Schließlich geht es um eine Friedens-Utopie, um einen fröhliche Anarchisten-Staat, den Aristophanes, der berühmteste Komödiendichter der griechischen Antike, ersonnen hat: um Wolkenkuckucksheim. In Saarbrücken in Wolkenkuckucksburg umbenannt. Warum, bleibt eine der vielen Ungereimtheiten von Thomas Schulte-Michels, der für Textbearbeitung, Regie und Bühnenbild dieses enttäuschenden Premierenabends zuständig ist.

Nein, wir heben mit diesem erfahrenen Theatermann, der in Saarbrücken zuletzt einen fabelhaften "Revisor" ablieferte, diesmal nicht, wie erhofft, in ein amüsantes Vogel-Reich der Fantasie ab. Vielmehr steht am Ende dieser Aufführung bestenfalls Ratlosigkeit. Hauptsächlich, weil der Text als viel zu laut oder schnell gebrüllter Sprachstrom über die Zuschauer hinweg rauscht, nicht nur, wenn der Chor sich einmischt. Das Meiste an sprachspielerischem Witz und originellen Aktualisierungen geht so verloren, seien es die "Eurojunkies" oder die "Asylvampire", die Schulte-Michels einbaut. Auch die angeblich so sensibel auf die Schauspieler zugeschriebene Musik von Olivier Truan erweist sich als löchriger, kraftloser Mix aus Rap, Boléro-Pathos, Balladen und Weihnachtsklängen. Alles wird nebeneinandergeklebt, ein chaotisches Bild.

Dabei wäre die Geschichte durchaus stringent zu erzählen. Zwei Bankrotteure mit Weltverbesserungsdrang gründen zwischen Himmel und Erde mit Hilfe eines eitlen Vogelvolkes einen Vorzeige-Staat: Weder von Göttern noch Menschen will man sich einschüchtern oder "verarschen" lassen. Doch dann halten auch bei den Vögeln Profitdenken und Fremdenfeindlichkeit Einzug, ihre Führer (Thomas Schmidt, Georg Mitterstieler) schlagen diktatorische Töne an, hier konkret: im Hitler-Stakkato. Generell sind drastische Überzeichnung, Parodie und Karikatur die Haupt-Gestaltungsprinzipien von Schulte-Michels, der sich dicht heran bewegt an den provokanten Grundton des Autors. So verulkt der mit glitzerndem Papst-Ornat behängte Wiedehopf (Nina Schopka) die katholische Liturgie - ähnlich wie Aristophanes die Opfer- und Festmahl-Rituale der Athener.

Fraglich ist allerdings, ob Schulte-Michels mit seiner Sarah-Wiener-Kannibalen-Kochshow den rechten Vergleichston trifft. Beigemengt hat er in der Triballer-Szene auch noch ein bisschen Muppets-Show. Symptomatisch für diesen Abend, der konfus alles nur Mögliche herbei zitiert.

Schulte-Michels hat seine "Vögel" als Multi-Kulti-Projekt angelegt, 30 Laiendarsteller als Chor integriert. Der beweist sich als vitales, aber auch Unruhe auslösendes Element. Es herrscht Kostümfest-Optik. Tanja Liebermann hat Strapse, Banditen-Masken, Federboen, Punk-Frisuren, Uniformen, Tüll, Indianer-Kopfschmuck und Pippi-Langstrumpf-Strümpfe kombiniert. Karneval ist, wenn's trotzdem gefällt.

Doch wenn sich alle verkleiden, ist keiner mehr erkennbar - auch die authentischen Individualitäten des Chors nicht. Zugleich entpuppt sich das Konzept für die Schauspieler als Hypothek. Nur Mayan Alban-Zapata (Nachtigall) und Marcel Bausch (Poseidon) gewinnen Kontur. Immerhin kann Thomas Schmidt (Pistethairos) als hintertrieben-kindliches Rumpelstilzchen-Monster Glanz entwickeln.

So folgen wir dem großen Durcheinander ohne Vergnügen. Und freuen uns lediglich darüber, wie dynamisch der Laien-Chor (Choreografie: Teresa Rotemberg) auf der monumentalen Treppe agiert. Diese Arbeit hat den für eine Premiere mauen Applaus verdient. Und ein Buh in Richtung Theaterleitung! Denn Schulte-Michels zeigte ähnliche "Vögel" bereits in Karlsruhe. Man hätte es also wissen können.

Nächste Termine: 25. und 29. Januar, 7., 21., 26. Februar.

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