„Das ist eine Menge Holz“

Saarbrücken · Bei bundesweiten Warnstreiks haben gestern knapp 100 Orchester demonstriert. Mit dabei war auch das Staatsorchester, der Klangkörper des Saarländischen Staatstheaters (SST). Hintergrund ist der Tarifstreit zwischen der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) und dem Deutschen Bühnenverein, über den beide ab heute verhandeln. SZ-Redakteur Tobias Kessler hat mit dem Staatsorchester-Pauker und DOV-Delegierten Martin Hennecke gesprochen und mit Matthias Almstedt, dem Geschäftsführer des Staatstheaters. Ihre Meinungen gehen weit auseinander.

 Zusammengetrommelt: Musiker des Saarländischen Staatsorchesters gestern am St. Johanner Markt in Saarbrücken. Foto: Lutz Müller

Zusammengetrommelt: Musiker des Saarländischen Staatsorchesters gestern am St. Johanner Markt in Saarbrücken. Foto: Lutz Müller

Foto: Lutz Müller

Worum geht es in dem Streik? Um mehr Gehalt?

Hennecke: Nein, es geht nicht darum, dass die Orchestermusiker so dreist sind, mehr Geld zu fordern. Sondern darum, dass das, was in unserem Tarifvertrag steht, auch umgesetzt wird: die Ankopplung an die Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst. In unserem "Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern" steht, dass, wenn die Tarife im öffentlichen Dienst erhöht werden, die Tarife der Musiker sinngemäß anzupassen sind. 50 Jahre wurde das auch gemacht, aber seit drei Jahren nicht mehr, weil der Deutsche Bühnenverein als Arbeitgeber das verweigert. Die Tarifgespräche sind 2010 gescheitert, weswegen wir seitdem auch keinen akzeptablen Vergütungstarifvertrag haben.

Will der Verein Geld sparen?

Hennecke: Aus unserer Sicht schon. Es gibt zwar eine freiwillige Erhöhung, die aber nicht das Resultat einer Tarifverhandlung ist. In manchen Orchestern wird sie gezahlt, in manchen nicht.

Wer entscheidet das?

Hennecke: Das müssen Sie den Deutschen Bühnenverein fragen. Soweit ich weiß, ergeht eben diese Empfehlung auf freiwillige Erhöhung vom Bühnenverein an die Theater- und Orchesterträger.

Wie ist das Saarbrücken?

Hennecke: Wir bekommen diese freiwillige Erhöhung, die aber nicht ganz der Erhöhung im öffentlichen Dienst entspricht. Wir haben, wie das gesamte Theater, einen Haustarifvertrag, der hat aber mit der ganzen Problematik nichts zu tun. Wir sind uns natürlich der besonderen wirtschaftlichen Problematik im Saarland bewusst. Wir streiken also nicht deshalb, denn wir sind selbstverständlich solidarisch mit dem Haus. Wir wollen einfach die gleichen Tarifabschlüsse wie im öffentlichen Dienst, so wie es in unserem Vertrag steht. Es kann ja nicht sein, dass für 2,2 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst das Geld für Tariferhöhungen da ist, aber nicht für rund 8500 Orchestermusiker im ganzen Land.

Um wieviel Prozent Gehalt geht es denn?

Hennecke: In den Häusern ohne freiwillige Erhöhung liegen einige Orchester seit 2010 um acht Prozent hintendran. Das ist eine Menge Holz. Es geht uns aber nicht nur darum, sondern auch um den Protest gegen den Abbau von Orchesterkultur.

Wie sieht der aus?

Hennecke: Allein in den vergangenen 20 Jahren sind von 168 Orchestern 37 durch Fusionen und Auflösungen verschwunden. Jetzt haben wir noch 131 Orchester, von denen einige akut bedroht sind - zurzeit etwa das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, das mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart fusionieren soll.

Werden die Orchester nochmals streiken, um in den Gesprächen Druck auszuüben?

Hennecke: Weitere Aktionen sind nicht auszuschließen.

Sind diese zentral organisiert oder kann es auch Einzelaktionen geben, zum Beispiel bei einem Konzert in Saarbrücken?

Hennecke: Das wird zentral organisiert in der Arbeitskampfleitung der Deutschen Orchestervereinigung in Berlin. Der Ausfall eines Konzerts oder einer Vorstellung wäre das allerletzte Mittel. Es tut uns selbst weh, wenn wir nicht spielen, wir sind ja Musiker. Aber ausschließen kann man es nicht. "Wir sind auf Seiten des Bühnenvereins", sagt Matthias Almstedt, Kaufmännischer Direktor und Geschäftsführer des SST. Denn Einiges, was die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) behaupte, stimme nicht. "Es ist nicht so, dass der Bühnenverein seinen Mitgliedern empfohlen hat, keine Tariferhöhung zu zahlen. Sondern die DOV hat den Verhandlungstisch verlassen, um vor Gericht einen Tarifvertrag zu erzwingen, der die Erhöhungen wie im öffentlichen Dienst automatisiert." Da die DOV vor dem Bundesarbeitsgericht ihre Klage verloren habe, gebe es diesen Automatismus also nicht. "Der Bühnenverein hat in der Vergangenheit aber Empfehlungen ausgesprochen, den Orchestermusikern, obwohl es keinen gültigen Tarifvertrag gibt, die Tariferhöhung zu zahlen. Die haben wir hier in Saarbrücken den Musikern auch gezahlt."

Insofern sei der Warnstreik der Saarbrücker Musiker "eine Solidaritätserklärung für ihre Kollegen in den Theatern, die der Empfehlung des Bühnenvereins nicht gefolgt sind" und erst im Falle eines neuen Tarifvertrags zahlen wollen. "Unsere Musiker streiken nicht für mehr Geld, sondern dafür, dass ihre Kollegen anderenorts mehr Geld bekommen."

Den Warnstreik sehe die Theaterleitung "relativ locker, auch weil die Orchestermusiker ohnehin einen freien Tag hatten". Almstedt geht nicht davon aus, dass in Saarbrücken demnächst Proben oder Vorstellungen gefährdet sind. "Unsere Orchestermusiker haben uns gegenüber geäußert, dass das nicht persönlich gegen uns geht." Für Almstedt hat sich die Orchestervereinigung "mit dem Verlassen des Verhandlungstisches und der Klage, die sie höchstrichterlich verloren hat", selbst in diese Situation hineinmanövriert - "und will das jetzt nicht wahrhaben".

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