"Das ist dürftig geschriebene Massenware"

Was ist denn eigentlich ein Regionalkrimi?Rudolph: Zunächst einmal ein doppeltes Marketingkonzept. Autoren schreiben "Regionalkrimis", weil das ihre Chancen bei der Verlagssuche erhöht. Verlage veröffentlichen Regionalkrimis, weil ihnen das "am Ort des Geschehens" einen hohen Abverkauf beschert. Beide Strategien sind legitim

Was ist denn eigentlich ein Regionalkrimi?

Rudolph: Zunächst einmal ein doppeltes Marketingkonzept. Autoren schreiben "Regionalkrimis", weil das ihre Chancen bei der Verlagssuche erhöht. Verlage veröffentlichen Regionalkrimis, weil ihnen das "am Ort des Geschehens" einen hohen Abverkauf beschert. Beide Strategien sind legitim. Auch dass dann selbstverständlich die lokalen Medien berichten, man es leicht hat, an Lesungen in den örtlichen Buchhandlungen heranzukommen, ist als Strategie nicht falsch. Nur dass dieser regionale Bezug dann quasi wie ein Banner vor dem Text flattert und in ihm wie die lange Version einer Fremdenverkehrswerbung ausgebreitet wird, macht es künstlerisch bedenklich. Leider ist das Gros der Regionalkrimis genau das: dürftig geschriebene Massenware, die an die niederen geografischen Instinkte potentieller Leserschaften appelliert. Generell sind aber viele Regionalkrimis nicht deshalb per se schlecht, weil sie Regionalkrimis sind, sondern weil sie misslungene Kriminalliteratur sind.

Und was ist ein gelungener Regionalkrimi?

Rudolph: Krimis, die an konkreten Orten spielen, gibt es so lange wie den Krimi selbst. Sie thematisieren diesen Ort, durchdringen ihn künstlerisch, stellen infrage, arbeiten heraus, was unter der Oberfläche verborgen liegt. Die komplexen Kriminalromane des wunderbaren Autors Jerome Charyn zum Beispiel funktionieren nur, weil sie in New York angesiedelt sind. Oder die Berliner Krimis der nicht weniger wunderbaren Pieke Biermann. Aus dem geografischen Ort wird ein literarischer, der mit ebensolcher Kompetenz beschrieben wird. Im Saarland scheint mir Kerstin Rech mit ihren Bierbacher Krimis der Definition eines "guten Regionalkrimis" am nächsten zu kommen.

Woher kommt der Boom der Regionalkrimis? Könnte man den Trend zum Lokalbezug als Reaktion auf die Unsicherheiten der Globalisierung erklären, als eine Art Rückzug ins Vertraute?

Rudolph: Sicher. Erstaunlicherweise hat sich aber parallel zum Boom des Regionalkrimis ein - wenn auch bescheidenerer - Trend zum "Globalkrimi" entwickelt. Man findet heute Krimis aus Angola oder den Anden, Vietnam oder Singapur, Südafrika oder Brasilien in deutscher Übersetzung. Wir beobachten also zwei große Strömungen: Die eine möchte mit dem Fremden vertrauter werden, die andere ist bestrebt, das Vertraute nicht zu fremd werden zu lassen. Denn Kriminalliteratur beschreibt naturgemäß die mehr oder weniger vorübergehende Zerstörung vertrauter Strukturen durch das Verbrechen. Regionalkrimis federn dies ab, indem sie das irritierende Element stets im vertrauten Kuschelambiente von "Heimat" belassen.

Sind Regionalkrimis ein eigenes "literarisches" Genre?

Rudolph: Selbst gelungene Regionalkrimis, die es natürlich auch gibt, sind kein eigenes Genre oder Subgenre. Der Markt hat sich längst in "special interest"-Themen aufgeteilt. Es gibt neben Regionalkrimis auch Katzenkrimis, Gourmetkrimis, historische Krimis, Weinkrimis, Bierkrimis, Mineralwasserkrimis. Alles Marketingkonzepte, die mit den eigentlichen Abstufungen literarischer Subgenres nichts mehr zu tun haben. Wir warten noch immer auf den saarländischen Katzenkrimi, in dem eine biertrinkende Gerichtsmedizinerin Tipps zur Gardinenpflege gibt. Die historisch gewachsenen literarischen Subgenres - vom kreuzworträtselartigen Whodunit ("Wer war's?") bis zum illusionslosen gesellschaftsanalytischen "Noir" - haben damit nichts zu tun.

Sie selbst bringen im Sommer einen Saarland-Krimi heraus. . .

Rudolph: Mich hat dabei die Geschichte angetrieben und die Tatsache, dass sie unlösbar mit dem Ort, an dem sie abläuft, verbunden ist. Der Roman spielt im Saarland, manche werden sogar kühn behaupten, er spiele in den Kulissen meiner Heimatstadt Blieskastel und stelle ein konkretes historisches Lokalereignis in den Vordergrund. Es ist trotzdem kein Regionalkrimi - und auf dem Cover wird auch nicht "Saarland Krimi" stehen. Er musste dort spielen, weil nur in diesem Ambiente die Geschichte schlüssig ist. Der Ort als aktiv handelndes Element. Als nette Dreingabe zu den üblichen Faltprospekten des Verkehrsamtes wird sich dieser Roman weniger eignen.

Der Krimi "Arme Leute" von Dieter Paul Rudolph erscheint im September im Conte Verlag.