Das Gift der Angst

Der Befund ist höchst alarmierend. Die Angst der Deutschen vor Kontrollverlust hat enorm zugenommen, so stark wie noch nie. Terror, Flüchtlinge, Integrationsprobleme, dazu das Hintergrundrauschen der Finanzkrisen - es ist alles da, was Populisten brauchen. Dabei haben die Macher der jährlichen Studie noch nicht mal nach den diffusen Abstiegsängsten der Mittelschicht gefragt. Oder nach den Zukunftssorgen der jungen Generation.

"Wir haben die Kontrolle zurückgewonnen", das war der zufriedene Ausruf der Brexit-Befürworter nach ihrem Sieg in England. "Wir wollen Kontrolle über unser Land und unsere Grenzen", rufen sie von AfD bis Front National im Rest Europas, auch in Deutschland. Die Herde ist in Unruhe, die Wölfe warten schon. Und die Politik muss höllisch aufpassen. Jedenfalls jener Teil der Politik, der noch ein Interesse daran hat, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Der die Verängstigten nicht gegeneinander hetzen will, um kurzfristige Vorteile zu erzielen. Der nicht mit ihren Sorgen spielt wie die AfD. Aber auch die Linke Sahra Wagenknecht hört nicht auf, Kriegsangst zu beschwören. Der Wirtschaftsflügel der Union redet Verluste durch die Euro-Rettung hoch, Teile der SPD die Altersarmut. Alles in Ordnung - solange die Argumentation nicht zu Panikmache wird.

Vor allem müssen die Politiker der seriösen Parteien schnellstens dafür sorgen, dass das Vertrauen in ihre Regelungskompetenz wieder steigt. Kein überflüssiger Streit, wie ihn aus bayerischem Daffke Horst Seehofer in der Flüchtlingsfrage vom Zaun gebrochen hat. Aber auch kein einfach dahin geworfenes "Wir schaffen das". Angela Merkel hätte ihre Entscheidungen viel ausführlicher erklären müssen. Und auch, wie wir das ihrer Ansicht nach schaffen. Ganz sicher hätte das Bürokratieversagen bei der Registrierung und Aufnahme der Flüchtlinge nie und nimmer passieren dürfen. Und ebenso nicht Köln. Die Angst-Studie ist auch ein bitterer Gruß an den Innenminister.

Die Probleme nicht wegreden, sondern ernst nehmen, sich nicht nur angestrengt geben, sondern es sein. Das ist es, was die Menschen von ihren Regierungen erwarten, wenn die Welt immer unübersichtlicher und gefahrvoller zu werden scheint. Zu Recht erwarten sie das. Für den kommenden Bundestagswahlkampf heißt das: Zurückhaltung. In den Parteizentralen sollte man nach dieser Studie eher darüber nachdenken, wie die Wahlkampfparolen für 2017 abgemildert werden können, statt sie immer weiter zuzuspitzen. Und für die Zeit nach der Wahl gilt, dass Stabilität und Seriosität einer neuen Regierung wichtiger sind als die Befindlichkeiten der Handelnden oder ihr Machthunger. Erst das Land, dann die Partei. Selten war dieser Grundsatz so wichtig.

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