Dann eben nicht

Als sich die EU im März auf das Abkommen mit der Türkei einließ, wusste sie bereits, dass Ankara kein einfacher Partner sein würde. Doch weil sich Europa nicht auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik verständigen konnte, wurde das Problem kurzerhand ausgelagert. Man verließ sich auf einen Nachbarn, dessen Präsident schon damals genug Anlass zur Sorge bot. Und darauf, dass der Deal zur Beendigung der unkontrollierten Migration nach Österreich, Deutschland und Schweden schon irgendwie halten würde.

Dieses blinde Vertrauen könnte sich bald rächen. Bislang wird die Drohung aus Ankara, die Vereinbarung platzen zu lassen, eher als innenpolitischer Winkelzug interpretiert. Spätestens im Herbst dürfte sich das als Irrtum erweisen. Dass sich Recep Tay yip Erdogan mit der Aufkündigung des Deals als Erpresser und Opportunist enttarnt, dürfte dem Staatschef herzlich egal sein. Sein Land ist von den Bedingungen, die aus einem hypothetischen Beitrittskandidaten einen künftigen Mitgliedstaat machen, weiter entfernt denn je. Das weiß Erdogan so gut wie jeder Staats- und Regierungschef in den 28 EU-Ländern. Dennoch wagt bislang niemand, daraus den logischen Schluss zu ziehen und den Beitrittsgesprächen ein Ende zu setzen.

An ihre Stelle treten könnte eine Partnerschaft, die sich auf Bereiche beschränkt, in denen Zusammenarbeit tatsächlich möglich ist - etwa in der Wirtschaft. Das wäre ehrlicher und konsequenter, als am Status des Beitrittskandidaten festzuhalten. Dasselbe gilt übrigens für die in Aussicht gestellte Visafreiheit. Denn wenn sich die Gemeinschaft eines nicht erlauben kann, dann ist es, sich erpressbar zu machen. Weder kann die EU darüber hinwegsehen, wie Erdogan die umstrittenen Anti-Terror-Gesetze nutzt, um seine Widersacher aus dem Weg zu räumen. Noch kann sie ignorieren, dass er nach dem gescheiterten Putsch nun quasi per Dekret regiert.

Erdogan hat den Bogen überspannt. Und die Drohkulisse, die er aufzubauen versucht, taugt nicht viel. Zum einen, weil die Zahl der illegalen Migranten, die seit Anfang April in die Türkei zurückgeschickt wurden, noch immer im dreistelligen Bereich liegt. Die Erleichterung, die Ankara der EU in dieser Hinsicht verschafft, ist also ziemlich überschaubar. Zum anderen ging die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa kommen wollen, deutlich zurück - und zwar ganz ohne das Zutun der Türkei. Im Licht der jüngsten Veränderungen in dem Staat am Bosporus muss sich die EU ohnehin fragen, ob es noch zu rechtfertigen ist, Flüchtlinge dorthin zurückzuschicken. Die Gemeinschaft täte gut daran, eine deutliche Botschaft an Ankara zu senden. Über kurz oder lang kommt sie sowieso nicht umhin, die Knoten im Wirrwarr ihrer eigenen Flüchtlingspolitik zu lösen. Auf den Nachbarn Türkei kann die EU jedenfalls nicht länger bauen.

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