Cromme: "Wir haben zu lange vertraut"

Bochum. Angesichts der Milliardenverluste beim Stahlriesen Thyssen-Krupp gesteht Chefkontrolleur Gerhard Cromme eine Mitverantwortung des Aufsichtsrates ein. "Ja, wir haben zu lange vertraut, wir hätten früher handeln können", sagte Cromme gestern bei der Hauptversammlung des größten deutschen Stahlunternehmens in Bochum

Bochum. Angesichts der Milliardenverluste beim Stahlriesen Thyssen-Krupp gesteht Chefkontrolleur Gerhard Cromme eine Mitverantwortung des Aufsichtsrates ein. "Ja, wir haben zu lange vertraut, wir hätten früher handeln können", sagte Cromme gestern bei der Hauptversammlung des größten deutschen Stahlunternehmens in Bochum. Allerdings habe der Aufsichtsrat immer dann, wenn entsprechende Fakten dies ermöglicht hätten, konsequent gehandelt.Trotz der Geste der Einsicht musste Cromme sich von den Aktionären heftige Kritik anhören. Von einem Desaster war die Rede, der Geschäftsführer der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW), Thomas Hechtfischer, nannte das derzeitige Bild des Konzerns verheerend. Aktionär Oliver Krauß forderte den Rücktritt Crommes. Selbst die Ankündigung des Aufsichtsrats, mit 700 000 Euro auf die Hälfte der Vergütung zu verzichten - allein Cromme verliert 100 000 Euro - erntete nur verhaltenen Beifall.

Zu den Milliardenverlusten im Zusammenhang mit Stahlwerken in Übersee sagte Cromme, es sei trotz aller Anstrengungen in der Vergangenheit nicht gelungen, Fehlentwicklungen zu verhindern. "Rechtlich korrekte Entscheidungen bedeuten nicht zwangsläufig auch gute unternehmerische Entscheidungen." Massive Probleme bei den Stahlwerken in den USA und in Brasilien hatten Thyssen-Krupp im zurückliegenden Geschäftsjahr mit einem Verlust von fünf Milliarden Euro tief in die roten Zahlen gestürzt.

Vor dem Hintergrund von Kartell- und Korruptionsfällen betonte Cromme, dass derartige Verstöße vom Aufsichtsrat "mit Nachdruck" verurteilt werden. Bereits vor Beginn der Veranstaltung hatte sich der 99-jährige Chef der Krupp-Stiftung, Berthold Beitz, im Blitzlichtgewitter mit einer demonstrativen Geste hinter den Aufsichtsratsvorsitzenden gestellt.

Der starke Einfluss der Krupp-Stiftung wird Cromme trotz der Kritik auch weiterhin seinen Platz im Aufsichtsrat sichern. Denn die Krupp-Stiftung, mit 25 Prozent größter Einzelaktionär des Unternehmens, hat seit 2007 das Recht, bis zu drei Mitglieder in das Kontrollgremium zu schicken - ganz ohne Beschluss der Hauptversammlung. Und Stiftungschef Beitz hält fest zu Cromme, der Beitz mittelfristig an der Spitze der Stiftung ablösen soll. Das allerdings sei noch kein Thema, sagte Cromme: "Da Herr Beitz sich allerbester Gesundheit erfreut, stellt sich die Frage nicht."

Thyssen-Krupp-Vorstandschef Heinrich Hiesinger zeigte sich zuversichtlich, den geplanten Verkauf der Stahlwerke des Konzerns in Brasilien und den USA bis zum Herbst abschließen zu können. Der Verkauf gehe voran. Bei den Stahlwerken handele es sich um die "größte Baustelle" des Konzerns.

Trotz aller Kritik haben die Aktionäre am späten Abend sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat entlastet. Alle Beteiligten erhielten zwischen 62 und rund 76 Prozent Zustimmung. Cromme wurde mit rund 69 Prozent der Stimmen entlastet. dpa/dapd

Meinung

Ohne Rückhalt der Aktionäre

Von SZ-RedakteurJoachim Wollschläger

Thyssen-Krupp ist ein Sonderfall in der deutschen Unternehmenslandschaft. Weil die Stiftung Aufsichtsräte ohne Genehmigung der Hauptversammlung entsenden kann, ist Gerhard Cromme nicht auf den Rückhalt der Aktionäre, sondern auf den des Stiftungschefs Berthold Beitz angewiesen. Weil der ihn stützt, kann Cromme die Kritik an sich abperlen lassen. Doch er ist angezählt. Sollten sich die Wogen bei Thyssen-Krupp nicht bald glätten, wird auch die Stiftung irgendwann nach Crommes Verantwortung fragen müssen.

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