Chronik eines Kollaps'

Saarbrücken. Eine neue Art Kino wollte Henri-Georges Clouzot 1964 erfinden. Bilder schaffen, die die Welt noch nicht gesehen hatte

Saarbrücken. Eine neue Art Kino wollte Henri-Georges Clouzot 1964 erfinden. Bilder schaffen, die die Welt noch nicht gesehen hatte. Was ist geblieben von diesem Traum - nach katastrophalen Dreharbeiten, zerrütteten Arbeitsbeziehungen, der Depression des Hauptdarstellers und dem Herzinfarkt des Regisseurs? 185 Blechdosen, mit 13 Stunden tonlosen Films - Fragmente eines nie fertig gestellten Werks, um den sich der Mythos des gescheiterten Meisterstücks rankt.

Der französische Regisseur Regisseur Serge Bromberg, Jahrgang 1961, ist nicht der erste, der sich für die Bruchstücke des Films "Die Hölle" interessiert hat - aber er ist der, dem Clouzots Witwe die Rechte überlassen hat. Ein Glück. Denn seine Dokumentation, die bei uns als DVD erscheint, stützt sich nahezu komplett auf Clouzots Material, zeigt atemberaubende, experimentelle, farbenrauschartige Bilder und erzählt die faszinierende Chronik eines künstlerischen und letztlich körperlichen Kollaps'.

1964 gilt Clouzot einer der großen Regisseure Frankreichs, dank seiner Klassiker "Lohn der Angst" und "Die Teuflischen". Was ihm aber nicht entgeht, ist der Spott der jungen Kollegen der "Nouvelle Vague", die ihn als konservativen Handwerker schmähen. Hinzu kommt, das vermutet sein damaliger Assistent (und heutiger Regisseur) Constantin Costa-Gavras in der Dokumentation, dass Kollege Federico Fellini in seinem Film "Achteinhalb" mit Konventionen des Erzählkinos bricht und Clouzot noch mehr anspornt, im nächsten Film alles zu wagen. Die an sich schlichte Geschichte einer rasenden Eifersucht will er erzählen - mit experimentellen Mitteln. Den Alltag des Paares (Serge Reggiani und Romy Schneider) zeigt er schwarzweiß, die ins Pathologische abdriftenden Eifersuchtsfantasien des Mannes in Farbe - und in was für welchen: Blutrot etwa soll ein See leuchten. Das ist heute mit Digitaltechnik kein tricktechnisches Problem. Doch Clouzot experimentiert und entwickelt den Film so, dass Blau zu Rot wird - dementsprechend muss die Haut der Darsteller bläulich geschminkt werden, um nachher halbwegs fleischfarben zu erscheinen. Er spielt bei Testaufnahmen mit Bildverfremdungen, Beleuchtung und Filmbearbeitung. Auch für den Ton plant Clouzot Bizarres: elektronische Klänge und aggressiv-stakkatohafte Wortcollagen, als Symbol der Psyche des vor Wut kochenden Ehemanns.

So spektakulär diese Tests sind, so ernüchternd gestalten sich danach die eigentlichen Dreharbeiten. Perfektionist und Pedant Clouzot, der Stunden damit zubringt, Romy Schneiders Mund zu filmen, schläft kaum, will nachts neue Ideen mit seinen Teams besprechen, laugt die Kollegen langsam aus und scheint selber zunehmend kopflos. Hinzu kommt Zeitdruck: Der See, an dem er dreht, künstlich angelegt von einem Elektrizitätswerk, wird langsam abgelassen - fast schon ein Symbol für die versandende Produktion. Clouzot dreht bereits fertige Szenen wieder und wieder, Schneider und er geraten aneinander; Darsteller Reggiani wird krank, verlässt den Drehort und kommt nie wieder. Ersatzmann Jean-Louis Trintignant kommt und geht. Clouzot bleibt, dreht mit Schneider weiter, bis er einen Herzinfarkt erleidet. Er überlebt und lässt den Film sterben - das gedrehte Material landet im Archiv, im Besitz der Versicherung der Produktion und im Reich der Mythen à la "Was wäre gewesen, wenn?".

Eine Frage, die nicht beantwortet werden kann, aber faszinierend bleibt. Sowohl in der Dokumentation von Serge Bromberg als auch in einem opulenten Bildband "Romy", der Fotografien von den Probeaufnahmen und den Dreharbeiten zeigt. Da scheint jede Fotografie, ob in kargem Schwarzweiß oder in flammenden Farben, noch einmal von Ambition und Absturz zu erzählen.

Die DVD "Die Hölle von Henri-Georges Clouzot" ist bei Kinowelt erschienen.

Der Bildband "Romy - Die unveröffentlichten Bilder aus 'Inferno'/ 'L'enfer'" ist verlegt bei Schirmer/Mosel. 160 Seiten, 198 Fotos, 29,80 Euro.

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