Chinas Vergessene

Saarbrücken · Im Saarbrücker Filmhaus beginnt heute das „Ecrans de Chine“-Festival mit sechs Dokumentationen über China. Zwei Regisseurinnen stellen ihre Filme vor. Eine davon ist Carol Liu, die „Restoring the light“ am Samstag zeigt. Wir haben mit ihr über den Film gesprochen.

 Der blinde Li Juncheng und seine Schwester in einer Szene des Films. Foto: Carolliufilms

Der blinde Li Juncheng und seine Schwester in einer Szene des Films. Foto: Carolliufilms

Foto: Carolliufilms

Ein staubiges Niemandsland, eine kleine Hütte, ein kleiner Junge. Er will mit einer Katze spielen, tastet dahin, wo sie eben noch war; doch sie ist schon verschwunden. Der Junge sieht es nicht, er ist blind. Der zehnjährige Li Juncheng lebt in der Provinz Ningxia, fernab der Großstädte - und einer medizinischen Versorgung, die seine Familie ohnehin nicht bezahlen könnte. Die 70-Jährige Bäuerin Yuan Guihua erblindet langsam. Eine letzte Hoffnung für beide ist Dr. Zhang, der eine private Augenklinik gegründet hat, stets am Rande des Ruins, und übers Land reist, wo sich kaum Ärzte hin verirren.

Die bewegende, manchmal beklemmende Dokumentation "Restoring the light" erzählt von den Menschen im ländlichen China abseits der boomenden Städte - es sind die Vergessenen, an die die US-chinesische Filmemacherin Carol Liu (32) erinnern will. Von Hoffnungen erzählt sie, die sich teilweise sogar erfüllen, teilweise aber auf banal grausame Weise zerstört werden. Kein Geld, keine Medizin, kein langes Leben.

Die US-Regisseurin, die seit Kindesbeinen China bereist, hat den Film gedreht, "weil sich weder westliche noch chinesische Medien für die Landbevölkerung interessieren: 700 Millionen Menschen, von denen viele in Armut leben und fern jeder medizinischen Versorgung". 2008 begann sie mit den Arbeiten am Film, sie ersuchte um Drehgenehmigungen von offizieller Stelle und erhielt sie auch; beim Filmen selbst, bei den Gesprächen mit den Verarmten und dem Arzt, waren immer Vertreter der Regierung dabei. "Und nach dem Ende der Dreharbeiten wurde das gesamte Material noch einmal kontrolliert", sagt Liu. Den fertigen Film reichte sie beim Internationalen Filmfestival in Peking ein, wo er auch gezeigt wurde, obwohl er desolate Zustände im Land zeigt. Eine Überraschung? Nicht für Liu. "Ich habe mich bewusst innerhalb der Grenzen des Erlaubten gehalten. Ich wollte einen ehrlichen Film machen - aber auch einen Film, der, wenn er etwas bewegen soll, in China ohne größere Probleme gezeigt werden kann." So bleibt "Restorin the light" bewusst auf der persönlichen Ebene, die Kritik am politisch-sozialen System ist zwar jederzeit zu spüren, wird aber nicht ausdrücklich formuliert. Sonst wäre der Film nicht in Peking gelaufen, da ist Liu sich sicher. "Aber ironischerweise hätte er im Westen wohl mehr Wellen geschlagen, wenn ich plakativer, vielleicht sensationshaschender erzählt hätte." Denn in ihrer Sicht lieben zumindest die US-Medien das Sensationalisieren von Problemen in China, "was nicht hilft, sondern die Kluft zwischen dem Westen und China nur noch vertieft".

Die mögliche Wirkung von "Restoring the light" in China hält Liu für begrenzt. "Das Dokumentarfilm-Genre ist nicht sehr populär in China. Vor allem die gebildeten Schichten, die die kritisierten Probleme aber ohnehin schon kennen, schauen sich Dokus an - das ist dann so, als predigte man den Bekehrten." Reguläre Kinos zeigen in China generell keine Dokus, erzählt Liu, und eine große chinesische Internetplattform hatte kein Interesse, den Film ins Angebot aufzunehmen, "man teilte mir mit, man wolle unterhalten und nicht aufklären", sagt Liu. Zu sehen ist der Film mittlerweile auf der US-Plattform Vimeo.

Liu, die in San Francisco lebt, bereitet jetzt ihren ersten Spielfilm vor. Um die sogenannten "leftover women" in China wird es gehen - Frauen, die bewusst spät heiraten, da sie erst eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren wollen, um unabhängiger zu sein. Die chinesischen Staatsmedien haben eine Kampagne gegen diese "Reste-Frauen" angezettelt - angeblich bedrohen sie die soziale Stabilität und das klassische Ehebild. Damit der Film über diesen Fall staatlichen Sexismus' auch in China laufen kann, will Liu den Stoff nicht verwässern, aber bunt verpacken - in Form einer romantischen Komödie.

Carol Liu stellt ihren Film am Samstag ab 18 Uhr vor.

Info: www.carolliufilms.com

Zum Thema:

HintergrundDas jährliche Festival "Ecrans de Chine" findet seit 2011 in Paris statt und zeigt unabhängige Dokumentarfime. 2014 ging das Festival erstmals ins Ausland - nach Rom, Turin und Saarbrücken . In diesem Jahr laufen zeitgleich zum Pariser Festival sechs Filme von "Ecrans de Chine" im Saarbrücker Filmhaus. Heute ist um 20 Uhr "Magnolia Man" über einen exzentrischen Pflanzenzüchter zu sehen. Die Regisseurin Ma Zhidan ist dabei. Am Freitag läuft ab 20 Uhr "Der chinesische Bürgermeister" über Datong, die Stadt mit der größten Umweltverschmutzung in China. Am Samstag ist ab 18 Uhr "Restoring the light" zu sehen, ab 20 Uhr "River of Art". Am Sonntag laufen ab 18 Uhr die kürzeren Dokus "Blüten unter Tränen" und "Eine ausgezehrte Stadt". Das Festival endet am Sonntag mit "Leeres Land" (ab 20 Uhr) über weithin unbekannte Regionen Chinas. Alle Filme laufen im chinesischen Originalton mit Untertiteln. tokwww.filmhaus-saarbruecken.de/filmreihen/china_dok

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