Chinas Turbo-Wachstum stockt

Peking. Chinas Wirtschaft wächst so langsam wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt legte im dritten Quartal nur um 7,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu, wie das Statistikamt gestern mitteilte. Regierungschef Wen Jiabao verbreitet trotzdem Optimismus: "Chinas Wirtschaft hat begonnen, sich zu stabilisieren

Peking. Chinas Wirtschaft wächst so langsam wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt legte im dritten Quartal nur um 7,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu, wie das Statistikamt gestern mitteilte.Regierungschef Wen Jiabao verbreitet trotzdem Optimismus: "Chinas Wirtschaft hat begonnen, sich zu stabilisieren." Der Sprecher des Statistikamts erklärt spitzfindig: "Wir können vorläufig sagen, dass wir uns im Übergang vom Abstieg zur Talsohle bewegen." Die neu beschlossenen Konjunkturspritzen mit Investitionen in Höhe von schätzungsweise zwei Billionen Yuan (250 Milliarden Euro) in die Infrastruktur zeigten Wirkung, heißt es. Experten bemühen zudem winzige Verbesserungen in Industrieproduktion oder Einzelhandel, um Schönwetter zu verbreiten. Dabei zeigen geringerer Energieverbrauch und Frachtverkehr eine starke Abkühlung der Wirtschaft an.

Die hohen Wachstumsraten von durchschnittlich knapp zehn Prozent in den letzten drei Jahrzehnten seien zu Ende, sagen Ökonomen. Den Geldhahn mit Zinssenkungen und Kreditvergabe wieder aufzudrehen, werde diesmal keine Lösung sein. Wichtiger sind strukturelle Reformen. Die bisherigen Motoren des chinesischen Wirtschaftswunders - Export und Investitionen - haben an Triebkraft verloren. Die Schuldenkrise in Europa und die schlechte Konjunktur in den USA bremsen.

China dürfe jetzt nicht wie andere Länder in der "Falle der mittleren Einkommen" stecken bleiben, warnt die Weltbank. Gemeint ist, dass ein Land nach Erreichen eines mittleren Einkommensniveaus die Vorteile als Billigproduzent verliert. "China muss die Wertschöpfungskette hochklettern", mahnt daher der chinesische Vizedirektor des Internationalen Währungsfonds, Zhu Min.

Chinas Wirtschaft steht an einem Wendepunkt, ist aber weit von einem neuen Wachstumsmodell entfernt. Die Konjunkturspritzen seit 2009 haben den Staatssektor auf Kosten der Privatwirtschaft gestärkt. Die Krise und der Machtkampf um die neue Parteiführung haben nötige Reformen gestoppt. Der Übergang zur Marktwirtschaft stockt. Private und ausländisch investierte Unternehmen sind den Staatsbetrieben unterlegen. So klagte im September die Europäische Handelskammer in einem Positionspapier, europäische Unternehmen seien regelmäßig Opfer von Marktabschottung, Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen und erzwungenem Technologietransfer.

Die wichtigste Aufgabe für die künftige Führungsmannschaft um den heutigen Vizepräsidenten Xi Jinping werde sein, neue Quellen für Wachstum zu erschließen, sagten daher führende Ökonomen auf einem Forum der Qinghua Universität. China müsse eine "neue Phase der Offenheit" einleiten. Und die Experten fordern mehr Markt und weniger Staat. dpa/bnt

Die fetten Jahre sind vorbei

Von SZ-MitarbeiterBernhard Bartsch

Je nach Sichtweise ist das Glas in China halb voll oder halb leer. Halb leer ist es, weil ein Wachstumsrückgang in jedem Fall schmerzhaft ist und für die Mehrheit der Chinesen den noch unerfüllten Traum von Wohlstand in weitere Ferne rückt. Halb voll ist das Glas, weil Chinas Turbowachstum einen hohen Preis forderte, etwa in Form von Umweltschäden oder einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Das Ende des Booms wird daher als Chance gesehen, ein neues Wirtschaftsmodell zu etablieren. Doch ob das Glas nun halb leer oder halb voll ist, entscheidend ist, wer daraus trinken darf. Ein erbitterter Verdrängungswettbewerb hat begonnen. Dabei gewinnen die staatlichen Firmen - auf Kosten der ausländischen. Für deutsche Unternehmen sind in China die fetten Jahre vorbei.

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