China vor neuer Reformwelle

Peking. Kommende Woche steigt in Pekings Großer Halle des Volkes wieder Chinas größtes Politikspektakel: die Jahrestagung der 3000 Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses. Echte Beschlussmacht hat das Quasi-Parlament nicht. Wichtige Entscheidungen treffen die Spitzengremien der Kommunistischen Partei

Peking. Kommende Woche steigt in Pekings Großer Halle des Volkes wieder Chinas größtes Politikspektakel: die Jahrestagung der 3000 Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses. Echte Beschlussmacht hat das Quasi-Parlament nicht. Wichtige Entscheidungen treffen die Spitzengremien der Kommunistischen Partei. Doch Signalwirkung hat der Kongress allemal, besonders in diesem Jahr, wenige Monate bevor im Herbst eine neue Führungsgeneration die Macht in der Partei übernehmen soll und alle Welt sich fragt, welche Impulse die Nachfolger von Präsident Hu Jintao und Premier Wen Jiabao setzen wollen.Zwar verbietet es die Parteidisziplin den Jungen bisher, mit ihren Ideen offensiv in die Öffentlichkeit zu treten. Doch ein Bericht der Weltbank, der dem Vernehmen nach mit direkter Unterstützung des designierten Staats- und Parteichefs Xi Jinping und des künftigen Premiers Li Keqiang entstanden sein soll, gibt Einblicke, wo die neue Führung Chinas größte Herausforderungen sieht und wie sie diesen begegnen will. "China hat einen Wendepunkt in seiner Entwicklung erreicht und braucht neue Reformen", erklärte Weltbankchef Robert Zoellick gestern bei der Vorstellung der Studie "China: 2030" in Peking.

Die größte Veränderung, so die Weltbank, bestehe darin, dass China sich nicht mehr auf sein hohes Wachstum verlassen könne. Vor allem die Exportwirtschaft und der Bauboom sorgten in den vergangenen drei Jahrzehnten für neue Jobs und jährliche Expansionsraten von um zehn Prozent. Doch diese Dynamik kann die Wirtschaft nicht mehr lange antreiben. In den nächsten 20 Jahren werde China lernen müssen, mit Wachstumsraten von fünf bis sechs Prozent auszukommen, warnen die Autoren.

Dafür seien Reformen in sechs Kernbereichen notwendig, heißt es in der Studie: Erstens muss die Regierung denPrivatsektor stärken und ihre aktive Rolle in vielen Branchen aufgeben. Dies wäre eine Umkehr eines Trends der vergangenen Jahre, in denen viele Ministerien die Kontrolle über Schlüsselindustrien zurückzuerobern versucht haben und Staatsbetriebe eine neue Blüte erlebten. Zweitens sollte China seine Märkte weiter öffnen, vor allem im Bereich von Forschung und Entwicklung, wo die Volksrepublik bisher durch Marktabschottung und schlechten Patentrechtsschutz Barrieren aufbaut, die den Wettbewerb behindern.

Drittens muss China sich seinen ökologischen Herausforderungen stellen und auf sogenannte "grüne Technologien" setzen. In den vergangenen Jahrzehnten fand die Entwicklung des Landes vielerorts auf Kosten der Umwelt statt. Viertens braucht das Land ein Sozialsystem, mit dessen Hilfe die gewaltigen Unterschiede zwischen Arm und Reich abgebaut werden können. Fünftens muss China seine Staatsfinanzen reformieren und sechstens eine aktivere Rolle in der Weltpolitik einnehmen.

Die Vorschläge der Weltbank decken sich in vieler Hinsicht mit Forderungen, die in chinesischen Denkfabriken kursieren. Sollte der Weltbankbericht tatsächlich die Ideen der neuen Führung widerspiegeln, könnte dies ein Signal sein, dass die Reformschritte in Zukunft wieder etwas größer werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort