Brüssel stoppt Fahnder gegen Schwarzarbeit

Brüssel. Der Schaden ist groß. Auf rund 660 Millionen Euro beziffert die Bundeszollverwaltung den Betrag, der Deutschland an Steuern und Sozialbeiträgen durch die illegale Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer entgangen ist. Deshalb wurden im vergangenen Jahr 524 000 Arbeitskräfte kontrolliert. Doch die EU will solche Razzien stoppen

Brüssel. Der Schaden ist groß. Auf rund 660 Millionen Euro beziffert die Bundeszollverwaltung den Betrag, der Deutschland an Steuern und Sozialbeiträgen durch die illegale Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer entgangen ist. Deshalb wurden im vergangenen Jahr 524 000 Arbeitskräfte kontrolliert. Doch die EU will solche Razzien stoppen. Sozialkommissar Laszlo Andor plant einen radikalen Schnitt - zunächst nur für die Bau-Branche. Gestern legte er in Brüssel neue Regeln für die seit 1996 geltende Entsenderichtlinie vor - viele Wochen später als zunächst geplant. Denn das Papier ist wegen seiner Eingriffe in bisherige staatliche und tarifliche Hoheiten der Mitgliedstaaten umstritten. "Ich bin erstaunt", sagte denn auch der CDU-Sozialexperte und Europa-Abgeordnete Thomas Mann. "Die Kommission macht sich mit einer Politik der Samthandschuhe zum Komplizen der Schwarzarbeiter."Künftig sollen Betriebsbesuche der Zollbeamten auf den Baustellen nicht mehr erlaubt sein. Stattdessen sollen sich die Fahnder Informationen "vom Arbeitgeber entsandter Arbeiter oder von deren Heimatland" beschaffen. Die deutsche Kritik, dass effiziente Kontrollen nur dann möglich sind, wenn die Arbeitspapiere auch in Deutsch vorliegen, wird zurückgewiesen. Allzu viele Pflichten will die Kommission ausländischen Unternehmen bei der Entsendung ihrer Mitarbeiter nicht auferlegen. Die Vorgaben müssten "von Firmen leicht zu erfüllen sein, aus der Ferne und auf elektronischem Weg, wo möglich." Der Sozialpolitiker Mann hält dagegen: "Deutschland muss es auch weiterhin erlaubt sein, bewährte und neue Kontrollinstrumente in vollem Umfang einzusetzen. Es ist völlig unverständlich, warum die Kommission den deutschen Behörden misstraut."

Rund eine Million Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden - vor allem im Bau- und Dienstleistungsbereich - zu Außeneinsätzen in andere EU-Länder entsandt. In den Gastländern gelten für sie die gleichen Sozialstandards wie für einheimische Kolleginnen und Kollegen - vom Urlaub über die Fortzahlung im Krankheitsfall bis hin zur Lohnhöhe. Dieses Prinzip hat die EU in der Richtlinie über die Dienstleistungsfreiheit festgeschrieben, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. "Beweise, dass entsendete Arbeitnehmer in vielen Fällen ausgebeutet und nicht ausreichend bezahlt werden, gibt es", sagte Andor. Deshalb will der Kommissar nun die Arbeitgeber in Generalhaftung nehmen: Wer bei einem Auftrag Subunternehmer beschäftigt, trägt für deren Arbeitskräfte die volle Verantwortung.

Viel Zündstoff steckt auch in der zweiten Vorlage des Sozialkommissars: Brüssel will den "Gastarbeitern" aus der europäischen Nachbarschaft künftig das gleiche Streikrecht wie in ihrer Heimat einräumen. Mit diesem Wink an die Gewerkschaften bemüht sich die Kommission erkennbar um deren Zustimmung zu dem Gesetzespaket. Experten warnen jedoch: Brüssel ist für das Tarifrecht nicht zuständig.

Meinung

Gnadenlose Harmonisierung

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Was soll man von einem Gesetzgeber halten, der 16 Jahre nach dem Erlass einer Richtlinie feststellt, dass sie in dieser Form nicht funktioniert? Die Tatsache spricht für sich. Wirklich schlimm ist nur, dass der neue Anlauf das Übel nur noch vergrößert. Der Versuch, Europa ein bisschen sozialer zu machen, indem man alles gnadenlos harmonisiert, muss ins Leere gehen. Es kann nicht sein, dass die Legalität entsendeter Beschäftigter nicht überprüfbar ist, weil den Zollbeamten die Möglichkeit genommen wird, die in einer anderen Sprache ausgestellten Papiere zu überprüfen. Ein effizientes Kontrollsystem muss nicht zerschlagen werden, nur weil die Kommission meint, man müsse etwas Neues erfinden.

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