Brüssel bereitet Befreiungsschlag vor

Brüssel. Die Angst vor dem Offenbarungseid wächst. Am Donnerstag will die spanische Regierung endlich sagen, wie sie ihre Finanzmisere lösen will und erstmals Zahlen zur benötigten Bankenhilfe nennen. Der Bericht der Beobachter-Troika zu Griechenland könnte dagegen so brisant ausfallen, dass man ihn auf November verschiebt, um vor den US-Wahlen keine Unruhe an den Finanzmärkten auszulösen

Brüssel. Die Angst vor dem Offenbarungseid wächst. Am Donnerstag will die spanische Regierung endlich sagen, wie sie ihre Finanzmisere lösen will und erstmals Zahlen zur benötigten Bankenhilfe nennen. Der Bericht der Beobachter-Troika zu Griechenland könnte dagegen so brisant ausfallen, dass man ihn auf November verschiebt, um vor den US-Wahlen keine Unruhe an den Finanzmärkten auszulösen. Gerüchte, Athen brauche bis zu 20 Milliarden Euro mehr aus der Notkasse der Euro-Partner, machen die Runde.In Brüssel bemühen sich die Vertreter der offiziellen Gremien derweil um Normalität. Dabei wird hinter den Kulissen an einem Rettungspaket XXL gebastelt, das bekannte und neue Hilfen für die Sorgenländer Griechenland, Zypern und Spanien verknüpfen soll. Vor allem Madrid wolle man den Gang unter den Rettungsschirm ESM erleichtern, hieß es aus dem Umfeld der EU-Kommission.

Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy fürchtet bisher eine offizielle Bitte um Hilfe aus dem Krisenfonds, weil er sein Land nicht der Troika - den Kontrolleuren von EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank (EZB) - unterwerfen will. "Verhandlungen gibt es, aber dabei geht es um die bereits geplante und bekannte Fortführung des Fahrplans für Strukturreformen", wiegelte ein Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn ab.

Hemmschwelle sinkt

Tatsächlich aber verdichten sich die Hinweise darauf, dass die Euro-Zone dem ESM zu verstärkter Feuerkraft verhelfen will. Die von den Mitgliedstaaten verbürgten 620 Milliarden Euro, von denen man nach Abzug einer Sicherheitsrücklage etwa 500 Milliarden ausgeben darf, könnten durch private Investitionen auf zwei Billionen Euro "aufgeladen" werden. Dieser sogenannte Hebel hat zwar beim bisherigen EFSF-Rettungsschirm nicht funktioniert, weil private Anleger kein Geld in die Schuldenhilfe geben wollten. Beim ESM dürfte das jedoch anders sein - dank EZB. Deren Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen enthält nämlich eine Klausel, die die Finanzexperten schätzen dürften.

Bisher war der EZB ein Sonderstatus als "bevorzugter Gläubiger" eingeräumt worden. Damit sollte sichergestellt werden, dass aus den Rückzahlungen der Schulden-Regierungen zuerst die Euro-Bank bedient würde. Nun hat man diese Forderung fallen gelassen und damit potenziellen Gebern signalisiert, dass sie mit Gewinn rechnen dürfen. "Das hat auf den Märkten einen tiefen Eindruck hinterlassen", heißt es in Brüssel. Weil die Hemmschwelle für Investitionen in die Euro-Zone sinkt. Zudem soll der ESM mit öffentlichen Geldern vor allem die besonders riskanten Teile eines Rettungsabkommens mit einem angeschlagenen Land übernehmen, sodass private Kapitalgeber nur ein begrenztes Risiko eingehen müssten.

Das Paket wird in EU-Kreisen als "echter Durchbruch" bezeichnet, könnte aber noch einige Zeit brauchen. Offenbar will Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf dem EU-Gipfel Mitte Oktober noch keine Entscheidung herbeiführen, sondern bis zum Treffen Ende November warten, um alle Euro-Staaten mit ins Boot zu holen. Bislang wehrt sich vor allem Finnland gegen die Aufstockung, da sie der Zustimmung des Parlaments bedürfe. Die deutsche Regierung hat dagegen keine Angst vor einem solchen Schritt. Da die vom Bundesverfassungsgericht erlaubte Obergrenze von 190 Milliarden aus Steuermitteln nicht überschritten werde, könne man - gemeinsam mit dem Bundestag - den ESM-XXL mittragen. Indes soll die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Klarstellung zur Haftungsgrenze morgen von allen ESM-Partnerländern angenommen werden. Damit kann der ESM am 8. Oktober starten.

Meinung

Geld allein reicht nicht

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Die Entlastung wäre riesengroß, wenn die Euro-Familie ihre Notkasse mit privatem Kapital auf rund zwei Billionen Euro aufladen kann. Spanien, Griechenland, Zypern, Portugal und Italien stünden auf den Finanzmärkten besser da, wenn sichergestellt ist, dass sie ihre Verbindlichkeiten bedienen können. Doch auch mit zwei Billionen Euro für den Schuldendienst repariert man noch nicht die Defizite der Wirtschaft, der Verwaltung, der politischen Struktur. Die Betroffenen müssen wissen, dass ihr gegenwärtiger Kurs in der Sozial- und Gesundheitspolitik sowie auf dem Arbeitsmarkt nicht durchzuhalten ist. Sie werden um den Umbau ihrer Länder nicht herumkommen.

Stichwort

Der ständige Rettungsfonds ESM mit einem Kreditrahmen von 500 Milliarden Euro soll wohl mit zusätzlichen Finanzinstrumenten gestärkt werden. An den Haftungsobergrenzen der Mitgliedstaaten ändert sich dadurch zunächst nichts. Die Hebelung kann über zwei Wege funktionieren. Wie beim Vorgänger-Rettungsfonds EFSF geplant, könnte der ESM teilweise das Risiko eines Zahlungsausfalls für Schuldtitel gefährdeter Euro-Staaten übernehmen. Er bietet dann eine Art Teilkaskoversicherung, wenn Länder neue Anleihen ausgeben. Zudem sollen sich große institutionelle Anleger an einem Sonderfonds beteiligen können. Der würde dann Staatsanleihen kaufen. Große Investoren haben bereits etwa 60 Milliarden Euro zugesagt. dpa

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