Brot und Spiele

Na türlich gibt es die Abgehängten, sogar millionenfach. Natürlich können SPD, Grüne und Linke gute Gründe nennen, um faire Arbeit und eine gerechtere Verteilung des Reichtums zu fordern.

Oder zu warnen, dass für die Zukunft zu wenig vorgesorgt wird, in der Bildung etwa oder der Familienpolitik. Die Grundmelodie des Landes aber klingt derzeit ganz anders, klingt so wohlig und satt wie Marius Müller-Westernhagens Lied "Es geht mir gut".

Es geht uns gut. Das sagen die Zahlen. Die Stimmung in der Wirtschaft hat sich noch einmal aufgehellt, obwohl die Lage in Rest-Europa so schwierig ist. Die Arbeitslosigkeit bleibt niedrig, bei der Jugendarbeitslosigkeit wird sogar ein europaweiter Positiv-Rekord vermeldet. Die Tariflöhne sind gestiegen, auch der Binnenkonsum zieht an. Und nun sinken sogar die Ölpreise, das für die autobesessenen Deutschen vielleicht wichtigste Krisenbarometer.

Es geht uns gut. Das sagt die Welt. Sogar François Hollande erklärt die deutschen Reformen für vorbildlich und erkennt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit seines Nachbarlandes neidlos an. Die britische Presse sucht nach unserem Erfolgsrezept und vergisst für einen Moment ihre "Sauerkraut"-Stereotypen. Selbst Barack Obama bewundert unser duales Ausbildungssystem.

Und dann ist da unser Fußball. Die Wolfsburger Frauen sind schon Champions-League-Sieger. Bayern oder Dortmund werden es an diesem Wochenende in London beim rein deutschen Männer-Finale werden. Und zwar nicht mit Brechstangen-Fußball. Effizienz und Eleganz sind kein deutscher Gegensatz mehr, auch nicht im Sport. Apropos Wolfsburg. Geht es irgendeiner Autofirma weltweit besser als VW? Ja, Audi, eine VW-Tochter. Und vielleicht noch BMW. Auch darauf ist ganz Deutschland stolz. So lange wir Erfolg haben, können wir Wir-Gefühl ganz gut.

Das ist die Grundschwingung vor dem einsetzenden Wahlkampf, und der richtige Sommer kommt ja erst noch. Sicher, schon morgen kann mit einer Banken- oder Regierungskrise in einem Euro-Schuldenland wieder alles ins Rutschen geraten. Und die positiven Zahlen sind nur Statistik, sie nehmen vielen Menschen nicht ihre aktuellen Sorgen, geschweige denn die um die Zukunft. Erst recht ist der Fußball ein flüchtiges Vergnügen.

Nur wird es für die Gegner von Kanzlerin Angela Merkel verdammt schwer werden, mit Kassandra-Rufen gegen eine so positive Stimmung anzukommen. Zumal Merkel unerbittlich fröhlich ist und dabei stets konzentriert. Brot und Spiele, beides wird den Deutschen derzeit geboten, und zwar reichlich. Mehr will ein Volk nicht. "Mach dir keine Sorgen, es wird schon weitergeh'n. Wir werden uns was borgen und wieder jung ausseh'n." So singt Marius Müller-Westernhagen.

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