Boko Harams Treue-Schwur schürt neue Terror-Angst

Genf/Abuja · Der Ton scheppert, die Stimme ist kaum zu identifizieren - doch was an technischer Qualität fehlt, macht die Brisanz der Botschaft wett. "Wir schwören dem Kalifen aller Muslime, Abubakar al-Bagdadi, unsere Treue, wir werden ihm gehorchen in guten und in schweren Zeiten", heißt es in dem Ton-Dokument, das dem Anführer von Boko Haram , Abubakar Shekau, zugeschrieben wird.

Es ist ein Treueschwur auf die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS).

Bislang hatte die nigerianische Terrorgruppe sich als Teil von Al-Qaida verstanden. Doch mit den Erfolgen des IS im Irak und in Syrien mehrten sich die Anzeichen dafür, dass Boko Haram sich auf die Seite der derzeit mächtigsten Terrororganisation schlagen würde. Bereits Ende 2014 lobte Shekau den IS in einer Botschaft. Dann schien es, als kopiere Boko Haram den IS nicht nur mit einem effizienteren Twitter-Account, sondern auch mit hochwertig gestalteten Videos. Die IS-Flagge tauchte auf. Und selbst die neue Audiobotschaft wirkt mit Untertiteln und Grafiken professionell, trotz der Tonqualität.

Dass Shekau gerade jetzt einen Treueschwur leistet, dürfte kein Zufall sein. Boko Haram steht erstmals seit Jahren unter erheblichem militärischem Druck: An mehreren Fronten marschieren Einheiten aus dem Tschad, aus Niger , Kamerun und Nigeria auf den "Kalifatsstaat" von Boko Haram im Norden Nigerias zu. Wie es gestern hieß, vertrieben sie die Miliz nach dreieinhalb Monaten aus der Stadt Damask und töteten 200 ihrer Kämpfer.

Tatsächlich dürfte der Treueschwur dazu dienen, die Kämpfer der Terrorbewegung bei der Stange zu halten. Zum einen profiliert sich Shekau gegenüber Splittergruppen von Boko Haram als starker Mann. Zum anderen demonstriert er auch vor den eigenen Anhängern Macht und Siegeswillen. Der IS gilt trotz eigener Rückschläge im Irak und in Syrien unter Terroristen immer noch als Erfolgsmodell. Ein Teil des Erfolgs, so dürfte Shekau hoffen, könnte auf Boko Haram abfärben, zumal, wenn der IS seinerseits Boko Haram als Teil der Bewegung anerkennt, wie er es in der Vergangenheit etwa mit Gruppen in Libyen getan hat.

Das Beispiel Libyen zeigt aber auch, dass der Treue-Schwur mehr ist als nur Propaganda. Am deutlichsten dürfte das im Fall Nigers sein: Der Sahelstaat wird von libyschen IS-Kämpfern im Norden und von Boko Haram im Süden bedroht. Beide Gruppen haben bereits Ziele im Niger angegriffen. Sollten sie sich in Zukunft absprechen, könnte das bitterarme Land mit gerade einmal 12 000 Soldaten schnell überfordert sein. Kamerunische Militärs vermuten, dass Boko Haram allein 15 000 Kämpfer kontrolliert. Sollte die Lage in Nigeria zu prekär werden, wäre Niger der perfekte Rückzugsraum für Boko Haram - zumal mit Unterstützung aus Libyen .

Noch ist die volle Bedeutung der Audiobotschaft ungewiss. Doch sollte der IS sich tatsächlich mit Boko Haram verbünden, droht Westafrika eine neue Terrorwelle. Schon jetzt könnten IS-Spezialisten problemlos vom Süden Libyens in den Norden Nigerias vordringen, um Boko Haram zu unterstützen. Ob die IS-Führung sich dafür entscheidet, dürfte eine strategische Überlegung sein. Boko Haram wäre die erste IS-Gruppe außerhalb der arabischen Welt. Eine Zusage wäre eine Drohung, dass der IS sich über seine Kernzone hinaus ausweiten will - womöglich bis Europa.

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