Blick zurück im Zweifel: Der Klassiker „Dom Casmurro“

1899 schrieb der brasilianische Schriftsteller Machado de Assis den Roman „Dom Casmurro“. Das ironischeWerk über einen Verweigerer der Moderne erscheint in einer gelungenen Neuübersetzung.

Brasilien im 19. Jahrhundert. Ein Mann aus der wohlhabenden Schicht blickt im Alter zurück auf sein Leben, die Bilanz ist nostalgisch gefärbt. Dom "Casmurro", wie ihn seine Umwelt nennt - das Wort bedeutet im Portugiesischen "mürrisch, eigensinnig" - passt nicht mehr in seine Zeit. Wenn man Pferdekutschen gewohnt war, ist die Straßenbahn eben eine Zumutung.

Der Schriftsteller Machado de Assis, ein Klassiker der brasilianischen Moderne, lässt in seinem 1899 veröffentlichten Roman "Dom Casmurro", jetzt in einer Neuübersetzung in der Manesse Bibliothek der Weltliteratur erschienen, seine Figur Bento zunächst in die romantische Welt seiner Jugend in Rio de Janeiro eintauchen. Er entfaltet eine Liebesgeschichte, deren Zauber am Ende von einem kaum mehr zu unterdrückenden Zweifel getrübt wird: Bento wird Vater eines Jungen, der beim Heranwachsen eine frappierende Ähnlichkeit mit seinem besten Freund zeigt. Hat seine Frau Capitu, die große Liebe seines Lebens, ihn etwa betrogen?

Machado de Assis ist ein witzig-ironischer Erzähler, der auch die poetischen Töne beherrscht. Seine nostalgische Geschichte der emotionalen Höhen und Tiefen zweier Menschen und ihres familiären Alltags spielt vor dem gesellschaftlichen Hintergrund eines Umbruchs: dem Übergang Brasiliens in die Moderne. Für den alternden Bento ist das Rio de Janeiro des - von 1822 bis 1889 bestehenden - Kaiserreichs mit seinen Sklaven, den Nachfahren der einst von den portugiesischen Kolonialherren deportierten Afrikaner, nur noch eine Erinnerung. Und als würde er sich trotzig an die alten Verhältnisse klammern, lässt er sein neues Domizil so bauen, als sei es eine Kopie des alten elterlichen Hauses. Der Spross der Oberschicht kann und will die Zeichen der neuen Zeit nicht akzeptieren.

Bis zuletzt bleibt offen, ob Bentos respektive Dom Casmurros nagende Zweifel an seiner Vaterschaft berechtigt waren. Der Autor liefert keine Gewissheit, außer der, dass das Paar getrennte Wege geht. Machado de Assis fraktioniert seinen Roman in meist sehr kurze, ohne Atempause aneinander gereihte Kapitel, 148 an der Zahl.

In seinem lesenswerten Nachwort weist Kersten Knipp darauf hin, dass gerade der brasilianische Schriftsteller de Assis für das Thema des Zweifel in der Literatur steht: Er war der große literarische Skeptiker seiner Zeit und brach die Tradition der romantischen Thematik Brasiliens. Die Neuübersetzung von Marianne Gareis überzeugt durch eine frische, zeitgemäße Sprache, die die Verbindung zum Sujet nicht verliert. Inhaltliche Anmerkungen im Anhang erleichtern die Orientierung für den Leser. Die Literatur Brasiliens, im vergangenen Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse, ist reich an Preziosen. Es muss ja nicht immer Paulo Coelho sein.

Joaquim Maria Machado de Assis: Dom Casmurro. Aus dem Portugiesischen übersetzt von Marianne Gareis. Nachwort von Kersten Knipp. 448 Seiten, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, 22,95 Euro.

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