Blattgold in Agfacolor

Saarbrücken. Immer wieder überarbeitet, verändert Brinkmann seine Gedichte in den frühen 60er Jahren, schafft Sammlungen, sortiert ein und um, denkt an Einzelveröffentlichungen. Eine Sammlung heißt "Don Quichotte auf dem Lande" und beinhaltet Gedichte aus den Jahren 1959-61, eine andere von 1963 "Vorstellung meiner Hände"

Saarbrücken. Immer wieder überarbeitet, verändert Brinkmann seine Gedichte in den frühen 60er Jahren, schafft Sammlungen, sortiert ein und um, denkt an Einzelveröffentlichungen. Eine Sammlung heißt "Don Quichotte auf dem Lande" und beinhaltet Gedichte aus den Jahren 1959-61, eine andere von 1963 "Vorstellung meiner Hände". Beide Textkonvolute wurden, wie Brinkmanns Witwe Marleen Brinkmann im Nachwort betont, von ihrem Mann sorgfältig für einen Buchdruck vorbereitet, auf der Maschine abgetippt und teilweise nachträglich korrigiert. Doch erst jetzt, knapp 50 Jahre später, liegen die 59 Gedichte erstmalig in Buchform vor.

Die Gedichte lassen deutliche Anklänge an den damals vorherrschenden poetischen Zeitgeist erahnen. Naturlyrik samt Griff in die symbolistische Grabbelkiste sind angesagt: hier Frühlingsgefühle, dort Herbstmelancholie. Nicht umsonst fallen bunte Namen aus der Bildenden Kunst: Chagall, Cocteau, Klee. Das von Brinkmann in den Gedichten entworfene Bildprogramm bestätigt einen verträumt, märchenhaften, kindlichen-naiven Ansatz: Kaum ein Gedicht kommt ohne Vögel aus, auch der Mond scheint gern; manche Zeile lässt sich von hübsch zusammengeklebten Worten wie Apfelblütenweiß oder Mondschnee tragen.

Brinkmann selbst hat seinen frühen Texten später nur mehr Verachtung entgegen gebracht, sie seien nicht radikal genug, war seine Losung. Doch ein Aufbruch allemal: Denn wer Gedichte von Brinkmann kennt, der weiß, wie gern er das Hehre ins Banale drehte, U und E vermischte, wie bewusst er rohe, unartifizielle Vokabeln, ja, provozierende Reizworte in seine Gedichte einarbeitete und die Gattung nutzte, um snapshotartig Augenblicke einzufrieren. Lyrische Aufbrüchen findet man in fast jedem Text, etwa wenn mitten in einem atmosphärischen Venedig-Gedicht in Agfa-Color fotografiert wird oder ein Gedicht provozierend einer bloßen Aufzählung gleicht, in welche die Popkultur erste Schatten hineinzuwerfen beginnt.

Doch wurden diese Gedichte mit Anfang 20 geschrieben, wodurch manches, was darin verhandelt wird, wie aus zweiter Hand wirkt. Verglichen mit seinen in "Standphotos" versammelten Gedichten oder seinem berauschenden lyrischen Vermächtnis "Westwärts I & II", verblassen diese lyrische Aufbrüche. Sie lesen sich, als würde man mit angezogener Handbremse Ferrari fahren. Doch Ferrari bleibt Ferrari. Und Brinkmann Brinkmann.

Rolf Dieter Brinkmann: Vorstellung meiner Hände. Rowohlt, 93 Seiten, 16 €

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