Bizarrer Streit um 122 Bilder

Saarbrücken · 2009 verschenkte der mittlerweile verstorbene Künstler Georg Cadora 122 seiner Schriftsteller-Porträts. Sie sollten dauerhaft im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass in Dudweiler aufbewahrt und gezeigt werden. Im Verlauf eines Streits zwischen dem Archiv und seinem Förderverein wurden die Bilder abgehängt und verschwanden. Nun leitet die Witwe des Zeichners rechtliche Schritte ein.

 Georg Cadora stellte seine Bilder in ganz Europa aus. Dieses Porträt zeigt den saarländischen Dichter Johannes Kühn. Foto: SZ

Georg Cadora stellte seine Bilder in ganz Europa aus. Dieses Porträt zeigt den saarländischen Dichter Johannes Kühn. Foto: SZ

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Hätte Georg Cadora geahnt, was mit seinen Bildern später einmal geschehen würde, er hätte sie wohl nie aus den Händen gegeben. Doch der Künstler ahnte nichts, konnte nichts ahnen, als er 2009 - drei Jahre vor seinem Tod - 122 seiner Federzeichnungen dem Förderverein des Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass, Melusine, schenkte. In den Archivräumen in Dudweiler sollten sie hängen, die Autoren-Porträts, Hingucker für die Besucher sein. Stattdessen liegen sie seit bald zwei Jahren fernab der Öffentlichkeit an einem unbekannten Ort - ein unwürdiger Zustand. Wie konnte es soweit kommen?

Rückblick: 2005 zieht der 1939 in Darmstadt geborene Künstler Georg Cadora mit seiner Ehefrau nach Püttlingen - die Nähe zu Frankreich ist für den damals 66-jährigen Weltenbummler attraktiv. Cadora, der sich einen Namen mit seiner "Schleifentechnik" gemacht hat (die Motive seiner Zeichnungen setzen sich aus Abertausenden winziger Schleifchen zusammen), pflegt eine besondere Vorliebe für Literatur. Hunderte Porträts von Schriftstellern aus aller Welt hat er bereits angefertigt, auch im Saarland geht er auf Motivsuche. Zwischen 2005 und 2011 entstehen über 60 Porträts regionaler Autoren. Bald knüpft Cadora Kontakt zum Literaturarchiv in Dudweiler, er lernt den damaligen Leiter Günter Scholdt kennen, versteht sich gut mit ihm und beschließt, dem Archiv ein Konvolut an Zeichnungen zu vermachen - darunter die Porträts der Regional-Autoren. Ein Vertrag soll die Schenkung regeln. Cadora schließt ihn nicht mit dem Archiv, sondern mit dem 2006 auf Initiative von Scholdt gegründeten Archiv-Förderverein Melusine. Der Vertrag enthält die Auflage, die Zeichnungen "in den Räumlichkeiten des Literaturarchivs der Öffentlichkeit in geeigneter Weise zugänglich" zu machen, "so dass Besucher einen angemessenen Eindruck von [der Kunst] des Schenkers erhalten". Dass sich Literaturarchiv und Verein einmal überwerfen und daraus Probleme für die Sammlung resultieren könnten - daran denkt damals niemand.

Doch genau dieser Fall tritt ein, als im Mai 2011 der damals 40-jährige Literaturwissenschaftler Sikander Singh den in Ruhestand tretenden Scholdt als Archiv-Leiter beerbt. Zwischen beiden knirscht es von Anfang an. Scholdt, der die Geschicke des Archivs 15 Jahre erfolgreich bestimmte und zunächst weiterhin ein Büro in den Räumen beziehen darf, fühlt sich zunehmend hinausgedrängt. Singh dagegen wird es leid, sich von Scholdt und dem Melusine-Vorstand in seine Befugnisse als neuer Leiter hineinreden zu lassen. Der Streit verschärft sich, Singh erhält persönlich beleidigende E-Mails, es kommt zum Bruch.

Zu dem Zeitpunkt haben der schwerkranke Georg Cadora und seine Frau das Saarland bereits in Richtung alter Heimat Ruhrgebiet verlassen. Im Januar 2012 stirbt Cadora im Alter von 72 Jahren in Wuppertal. Zu der Zeit befinden sich seine Bilder noch, wie von ihm gewünscht, im Literaturarchiv. Das ändert sich kurz darauf, wie sich Beobachter erinnern: Eines Tages betreten mehrere Personen, darunter der Melusine-Vorsitzende Harro Salm, das Archiv, packen die Bilder ein und transportieren sie in Autos ab. Wohin, ist bis heute unklar. Gegenüber der SZ sagt ein Melusine-Mitglied, sie seien "an einem sicheren Ort".

Wie es zu der Aktion kam und wie es nun weitergehen soll, darüber gehen die Ansichten auseinander. Er wisse, dass man gegen den Schenkungsvertrag verstoße, sagt der Melusine-Vorsitzende Salm gegenüber der SZ. Allerdings habe der Verein keine andere Wahl: Archiv-Leiter Singh habe seinerzeit alles loswerden wollen, was mit dem Verein in Verbindung stand. Mehrfach sei er, Salm, aufgefordert worden, die Sammlung zu entfernen: "Wir wurden gezwungen, so zu handeln." Zwei Wochen nach der Abholung habe Singh dann offenbar die Meinung geändert und die Bilder zurückgefordert. Zu einer Rückgabe sei der Verein prinzipiell auch bereit, fordere aber zunächst eine verbindliche Vereinbarung, dass sich "solche Zustände nicht wiederholen." Wie ein solcher Vertrag aussehen könnte, lässt Salm offen.

Gänzlich anders sieht Archivleiter Singh die Sache: Weder habe er die Bilder loswerden wollen noch sei der Verein zu einer Abholung aufgefordert worden: "Das ist schlicht gelogen." Ein Zitat in einem damaligen SZ-Artikel, das eine entsprechende Aufforderung nahe legt, sei ihm fälschlich in den Mund gelegt worden. Für Singh ist klar: Die Melusine-Vereins-Spitze hat die Bilder im Konflikt mit dem Archiv instrumentalisiert. "Wenn dem Verein so viel daran liegt, dass die Bilder wieder im Archiv hängen, können sie jederzeit vorbeigebracht werden."

Die Fronten sind verhärtet, der tatsächliche Hergang von außen schwer zu beurteilen. Hört man sich unter Beobachtern der damaligen Ereignisse, die sich bewusst aus dem Konflikt heraushalten wollen, um, so gewinnt man den Eindruck, dass zumindest vieles für Singhs Version spricht. Der habe die Bilder geschätzt und auch behalten wollen, so hört man, sich jedoch von Melusine-Mitgliedern zunehmend provoziert gefühlt und unter die Verbindung einen Schlussstrich ziehen wollen.

Auf neue Verhandlungen mit Melusine über die Rechte an den Bildern will sich Singh nicht mehr einlassen. Auch der Verein beharrt auf seinem Standpunkt - ein seit Monaten laufendes Mediationsverfahren ist längst Makulatur. Trotzdem könnte der Fall auf andere Weise geklärt werden: Mittlerweile hat sich die Witwe des Künstlers, Christa Kanold-Cadora, eingeschaltet. Sie ist wütend, wie mit dem (auch materiell) großzügigen Geschenk ihres Mannes - zwischen 1500 und 3500 Euro habe er pro Bild angesetzt - umgegangen wird. Kanold-Cadora sieht den Verein, der "dem neuen Leiter die Bilder offenbar nicht gönnt", in der Pflicht. Mehrfach habe sie Melusine-Vorstand Salm aufgefordert, die Bilder zurück ins Archiv zu bringen - letztmalig mit einem Schreiben vom 23. März. In dem Brief, der der SZ vorliegt, setzte die Witwe eine Frist bis zum 30. April. Man habe die Frist erneut verstreichen lassen, so Kanold-Cadora, nun werde sie juristische Schritte einleiten. Sie will die Sammlung als Erbin zunächst vollständig zurückerhalten, dann einen Teil dem Archiv "mit einem richtigen Vertrag" erneut schenken. "Mit den Bildern soll so verfahren werden, wie es mein Mann gewollt hat."

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