Besuch des Wortwanderers

Prüm. Es war der Abend der Wörter. "Eifelsüchtig" könne man werden, sagte Günter Grass zu Beginn seiner Lesung. 14 Jahre hatte es gedauert vom ersten Lockruf bis zur Sucht. So lange brauchte Josef Zierden, Initiator und Organisator des Eifel-Literatur-Festivals, um den Literaturnobelpreisträger als Gast zu gewinnen

 Günter Grass bei der Lesung in Prüm. Foto: Thomas Frey / dpa

Günter Grass bei der Lesung in Prüm. Foto: Thomas Frey / dpa

Prüm. Es war der Abend der Wörter. "Eifelsüchtig" könne man werden, sagte Günter Grass zu Beginn seiner Lesung. 14 Jahre hatte es gedauert vom ersten Lockruf bis zur Sucht. So lange brauchte Josef Zierden, Initiator und Organisator des Eifel-Literatur-Festivals, um den Literaturnobelpreisträger als Gast zu gewinnen. Als gelungen war, was fortan nur noch als "Sensation" bezeichnet werden sollte, rückte er für Grass ein "Special" ein in den Zweijahresrhythmus des Festivals. Und so stand der Literaturnobelpreisträger im dezent karierten Anzug weit mehr als eine Stunde lesend auf der Bühne einer einstigen Schulaula. Vor sich Wasser, Rotwein und 700 Zuhörer. Grass las aus seinem jüngsten und, wie er bei dessen Erscheinen 2010 sagte, "vielleicht letzten Buch". "Grimms Wörter" ist eine Liebesserklärung an die deutsche Sprache.Die, sagte Grass, sei immer sein Rückhalt geblieben, habe ihn zurückgehalten, das Land jemals zu verlassen. Fast 84 Jahre alt ist er, doch während er von Lautverschiebern, Wortschnüfflern und Silbenstechern sprach, während er Wilhelm und Jakob Grimm lebendig werden ließ, war er ein Mitsechziger. Den Oberkörper leicht vor und zurück bewegend, mit ausholenden Gesten Gesagtes unterstreichend führte er die Zuhörer durch das Reich der Wörter. Alleine der Einsilber "ach" geriet schon zum Genuss. Was man mit und aus ihm so alles machen kann: reden wie Rumpelstilchen ("ach, wie gut dass niemand weiß"), seufzen ("ach Gottchen") oder staunen ("ach, du meine Güte"). Grass zog seine Zuhörer in den Bann der Wörter, machte sie nachdenklich, erheiterte sie und überraschte sie mit Zeitsprüngen: Unverhofft landete das A in der Welt der Computernutzer und wurde wie "apple" buchstabiert.

Wortwanderer Grass kehrte immer wieder zu den Grimms zurück. Auf seiner Reise begegnete er jedoch auch vielen anderen: Zum Beispiel Oskar, der nicht wachsen will. Auch wurden sprachliche Glanzstücke mit Personen verwoben, mit Grass' Werken und mit ihm selbst: "So schrieb ich Buch nach Buch, machte mir einen Namen, ergriff als Sozialdemokrat Partei (…) und erlebte, wie Freiheit zur Worthülse wurde". Am Ende der Lesung, wie zu Beginn das "Ach", dominiert wieder ein Einsilber, "der Tod". Einsilbig wie Tag, Topf und Tür. Aber mit Aussicht. Ins Grab legen ließe er sich Pfeifen, Tabak und Zündhölzer, einen Blei- oder Filzstift und einen Papiervorrat - falls die Reise lang werde.

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