Literatur Berühmte Kunstschmiede als Hochschule der Emanzipation

Saarbrücken · Theresia Enzensberger beschreibt in ihrem Debütroman die Bauhaus-Geschichte als „Blaupause“ der Gegenwart. Lesung am Mittwoch in Saarbrücken.

„Blaupause“, ein Fachbegriff aus den Ingenieurbüros des 19. Jahrhunderts, ist neuerdings ein Modewort von Politikern, Managern und Journalisten. Sie schillert interessant zwischen transparenter Nüchternheit und künstlerischer Fantasie, Vergangenheit und Gegenwart, handwerklichem Unikat und industrieller Massenfertigung. Diese Doppeldeutigkeit zeichnet auch das Bauhaus aus – und Theresia Enzensbergers Roman über die Anfänge des Bauhauses in Weimar und Dessau.

Die 31-jährige Journalistin, die sich mit dem Magazin „Block“ einen Namen gemacht hat, ist als Tochter von Hans-Magnus Enzensberger ja selber eine Art Blaupause ihres Vaters: Rastlos die Utopie im Alltag suchend, Schulen und Ideologien, aber nicht das Licht der Öffentlichkeit meidend. Sie leidet an einem diffusen Unbehagen in der Kultur, sehnt sich nach echten Erfahrungen. Enzensberger spiegelt sich in ihrer jungen Protagonistin, die sich von Vaterfiguren, Bauhaus-Professoren und der männlich dominierten Vergangenheit lösen muss: „Ich will die Zukunft bauen und die Vergangenheit abreißen“, sagt sie.

Das Bauhaus war eine Schule revolutionären Sehens, eine politisch-künstlerische Avantgarde. In Weimar und später in Dessau entwarfen Lehr- und Werkmeister wie Walter Gropius, Oskar Schlemmer, Paul Klee oder László Moholy-Nagy Baupläne für jene nüchternen neuen Häuser und Menschen, die frei von Plüsch und Schnörkel sein sollten. Im Zentrum von „Blaupause“ steht die (fiktive) Bauhaus-Studentin Luise Schilling, Tochter eines Berliner Pfannenfabrikanten. Am Anfang, 1922, ist sie noch die behütete Höhere Tochter. Der Vater, ein preußisch-autoritärer Patriarch, hätte sie lieber auf die Hauswirtschaftsschule als zu den Kunstbolschewisten geschickt; ihre Mutter ist liebevoll, aber schwach, ihr Bruder sympathisiert mit den Reaktionären und Antisemiten. Das Bauhaus wird für Luise eine Hochschule der Emanzipation. Das liegt weniger an den gönnerhaften Lehrmeistern („Keine Sorge, Luise, die meisten Frauen haben Defizite im dreidimensionalen Sehen.“) als an ihren Kommilitonen und Freunden: Kommunisten, Zionisten, Proto-Nazis, aber auch schwerblütige Mystiker, Dadaisten und Dandys.

„Blaupause“ ist bevölkert mit dem Personal der wilden Zwanziger: Kriegskrüppel, Transvestiten, Spinner, Suffragetten. Es gibt wilde Koks-Partys, Nacktbaden und Wandern in der freien Natur. Die Figuren sind manchmal ein wenig holzschnittartig gezeichnet, die Dialoge unbeholfen. Luises Fragen („Muss Kunst nicht auch politisch sein, gerade in Zeiten wie diesen?“) sind oft naiv, ihre Wünsche plakativ („Ich will teilhaben an Spaß und Exzess“), aber gerade das macht sie zu einer fast zeitgenössischen Figur. Manchmal liest sich das wie das Tagebuch eines jungen Mädchens. Aber Enzensberger schafft es auch immer wieder, die Schwierigkeiten einer jungen Frau mit dem Erwachsenwerden auf die Probleme und sozialen, politischen und künstlerischen Bewegungen ihrer Zeit zu beziehen.

Luises Weimarer Bauhaus-Republik ist jedenfalls mehr als ein Mädchentraum: Er ist eine Utopie, für die es zu leben und kämpfen lohnt. Luise träumt von einer Kunst, die nicht ideologisch verbohrt oder esoterisch verquast ist, sondern zeitgemäß und human. Von einer Gemeinschaft, die Individualität zulässt, von einer Universität, die nicht bloß Fachidioten für Staat und Industrie hervorbringt. Theresia Enzensbergers Erstling ist ein gelungenes Gesellenstück, aber zum Meisterwerk fehlt ihm dann doch noch die Kühnheit des Denkens und eine eigene Sprache.

Theresia Enzensberger: „Blaupause“. Hanser, 256 S., 22 Euro

Eine Lesung gibt es am Mittwoch im Rahmen der Reihe „Böll & Hofstätter“ um 20 Uhr im Filmhaus Saarbrücken.

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