„Beltracchi strickt am Mythos“

Der frühere Saarbrücker Kunst-Professor Henry Keazor hat sich intensiv mit dem Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi beschäftigt, der in unserer Mittwochausgabe zu Wort kam. Ist Beltracchi ein Genie oder größenwahnsinnig? Und wird sich der Fälscher auch als Künstler am Markt behaupten können? SZ-Redakteur Johannes Kloth hat mit Keazor, der mittlerweile eine Professur für Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg innnehat, gesprochen.

 Henry Keazor wirkte als Experte in der Beltracchi-Dokumentation „Die Kunst der Fälschung“ mit. Foto: Oliver Dietze

Henry Keazor wirkte als Experte in der Beltracchi-Dokumentation „Die Kunst der Fälschung“ mit. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Wir haben am Mittwoch ein großes Interview mit Wolfgang Beltracchi abgedruckt. Darf man einem verurteilten Kunstfälscher dieses Forum geben?

Keazor: Es war in der Geschichte immer schon so bei spektakulären Fälscherfällen, dass Menschen und Medien fasziniert waren. In den 1930er-/ 40er-Jahren gab es in Holland mal einen Fall, da forderten die Leute sogar ein Denkmal für einen Fälscher.

Sie selbst sind kritisiert worden, weil sie im Dokumentarfilm "Die Kunst der Fälschung" über Beltracchi mitwirken.

Keazor: Ich habe im Vorfeld genau geprüft, worauf ich mich einlasse. Ich hatte dem Regisseur Arne Birkenstock auch gesagt, dass ich nur mitmache, wenn es ein - zumindest ansatzweise - kritischer Film wird und ich Beltracchi vor der Kamera frei fragen kann, was ich möchte. Ich habe die Gelegenheit gesehen, Beltracchi ein paar provokante Fragen zu stellen. Offenbar hat er auch sehr darum gekämpft, dass einige der Aussagen, die ich ihm entlocken konnte, wie wohl zum Beispiel die, dass in seiner Kunst kein Herzblut stecke, rausgeschnitten werden. Diese Sätze waren mir aber wichtig, weil er so den selbstgestrickten Mythos vom Vollblutkünstler, der immer nur malen wollte, selbst konterkariert.

Was ist Wolfgang Beltracchi für ein Mensch?

Keazor: Er ist unglaublich empathisch. Einerseits hat er diese leicht schnoddrig-coole Grundhaltung, zugleich, das ist mein Eindruck, spürt er genau, wo er einhaken muss, um sein Gegenüber in den Griff zu bekommen.

Er sagt, er könne alles malen. Ist das Hybris?

Keazor: Ich halte das für einen Mythos, den er da gerade strickt. Wir kennen von ihm bislang vor allem Werke der klassischen Moderne, bei denen man streiten kann, wie leicht sie fälschbar sind. Ich nehme ihm aber nicht ab, dass er auch in der Lage wäre, große Kunst der frühen Neuzeit, also Barockmalerei oder sogar Renaissancemalerei, zu fälschen, was er ja auch immer wieder behauptet. Dafür fehlen ihm aus meiner Sicht schlicht das Können und das Handwerk.

Wie hoch ist der Schaden, den Beltracchi der Kunst und dem Kunstmarkt zugefügt hat?

Keazor: Der ist sehr groß, hält aber nur temporär an. Die Geschichte der Fälschung verläuft leider in Wellen. Es gibt immer wieder spektakuläre Fälle, die öffentlich werden, dann ist die Aufregung groß, alle fragen, wie konnte es dazu kommen? Irgendwann heißt es: Wenn man sich die Bilder genau anschaut, hätte man die Fälschung ja sofort erkennen können. Daraufhin wiegt man sich in Sicherheit, und zehn Jahre später wird der nächste Fall öffentlich.

Diese bewusste Blindheit ist wohl auch ein Grund, warum so viele Menschen mit Beltracchi sympathisieren. Es herrscht eine gewisse Schadenfreude gegenüber einem von Gier getriebenen Kunstmarkt . Muss der Fall Beltracchi nicht auch ein Weckruf sein, regulierend einzugreifen?

Keazor: Die astronomischen Preise sind natürlich schwer vermittelbar. Andererseits spiegeln sie nur unsere kapitalistische Gesellschaft wieder. Wir alle sind bereit, mehr Geld für etwas auszugeben, was wir mit einem ideellen Wert versehen. Beim Kauf eines iPhones fragen wir auch nicht nach dem Materialwert, sondern wollen das Objekt haben, mit dem wir etwas assoziieren. Das ist bei der Kunst nicht anders: Namen, die mit großen Assoziationen versehen sind, erzielen höhere Beträge. Darüber kann man diskutieren, aber man wird wohl wenig daran ändern können. Ich finde, man müsste jetzt sagen: Wenn schon so hohe Preise bezahlt werden, müssen wir die Sicherungsmechanismen verbessern - eine stärkere Sorgfaltspflicht der Auktionshäuser und eine Datenbank kritischer Werke.

Dafür müssten alle Seiten ein nachhaltiges Interesse an Veränderungen haben.

Keazor: Da liegt das Problem. Der Kunstmarkt ist kurzfristig interessiert, weil er massiv geschädigt wurde. Ich fürchte nur, dass das wieder einschläft. Regeln entdynamisieren einen Markt. Und daran haben - wie bei den Finanzmärkten - bestimmte Seiten kein Interesse.

Was glauben Sie: Wird Beltracchi jetzt versuchen, mit eigener Kunst zu bestehen?

Keazor: Er hat ja schon schon versucht, sich durch neue eigene Projekte, etwa mit dem Fotografen Manfred Esser, zu profilieren, auch mit ein paar Solowerken, die sich nicht so gut verkauft haben. Was sich gut vermarkten lässt, sind legalisierte Fälschungen, also Campendonks und Ernsts, die er mit "Beltracchi" signiert. Nur wird er sich darauf einstellen müssen, dass er dann bald selbst gefälscht wird. Er sagt, das würde ihn nicht stören. Aber ich bin mal gespannt, wie cool er damit umgeht, wenn es soweit ist.

Henry Keazor & Tina Öcal (Hrsg.): Der Fall Beltracchi und die Folgen. Interdisziplinäre Fälschungsforschung heute. De Gruyter, 260 S., 49,95 Euro.

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