Beklemmung statt Happy End

Saarbrücken · „Der Tag, als ich lernte, die Spinnen zu zähmen“ ist eine Geschichte über Mut, Angst, Freundschaft und Ausgrenzung. Am Sonntag hatte das Stück nach dem gleichnamigen preisgekrönten Buch von Jutta Richter im Saarbrücker Theater Überzwerg Premiere.

Sie nennen ihn Furchendackel, Schlappschwanz, Spielverderber und Popelfresser. Sie sind zu viert: Martina (Reinhold Rolser), Hansi (Eva Coenen), Michael (Sebastian Hammer) und Meechen (Nina-Mercedés Rühl). Er heißt Rainer (Nicolas Bertholet) und ist der Prototyp eines Außenseiters: Kapuzenpulli, schmierige Haare, wütender Blick. Seine Mutter trinkt und schlägt - und das tut auch Rainer, wenn er provoziert wird. Rainers zarte, liebenswerte, fantasievolle Seite entdeckt nur Meechen, als der Außenseiter, der im selben Mietshaus wohnt, ihr hilft, ihre Angst vor einer (imaginären) Kellerkatze zu besiegen und ihr schließlich sogar beibringt, Spinnen zu fangen. Als aber ein Streit zwischen der Gruppe und Rainer gewalttätig eskaliert, droht Meechen zur Außenseiterin zu werden. Sie gibt dem Gruppendruck nach und entscheidet sich schließlich gegen Rainer.

Die Freundschaft der beiden besteht ihre Bewährungsprobe also nicht. Es gibt kein Happy End, dafür viele offene Fragen und am Ende ein Gefühl der Beklemmung. Einigen jungen Zuschauern im Theater Überzwerg war sie sichtlich anzusehen. Nein, dieses Stück - empfohlen für Kinder ab acht Jahren - ist alles andere als leichte Kinderkost. Es fordert heraus, wühlt auf, erzeugt Gesprächsbedarf, mutet dem jungen Publikum einen schonungslosen, desillusionierenden Realismus zu, den es zu verarbeiten gilt und der unwillkürlich eine Selbstreflexion in Gang setzt: Wie würde ich mich verhalten? Wäre ich mutig genug, Rückgrat zu zeigen? Was ist ein echter Freund? Wovor habe ich Angst?

Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Buch von Jutta Richter, das 2001 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde. Regisseurin Petra Wüllenweber hat es für die Bühne bearbeitet und in dichten, intensiven Bildern inszeniert. Die einzelnen Szenen - am Bahndamm, im Kinderzimmer, in der Klasse, auf der Straße - werden mit Hilfe einer Drehbühne dargestellt. Einige der fünf Darsteller haben Doppelrollen, sind sowohl als Kinder als auch als Eltern/Lehrer zu sehen.

Im Mittelpunkt steht Meechen - überzeugend und facettenreich gespielt von Nina-Mercédes Rühl - mit ihren Ängsten und Konflikten. Ihre Clique, das sind nicht nur die "Bösen", die Rainer ausschließen. Rainer ist nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Keiner mag ihn, stellt Meechen fest, "vielleicht nicht einmal sein Schutzengel kann ihn leiden". Sie lernt, dass das Beten meist nicht hilft und der Wille ihres eigenen, herrischen Vaters geschieht, nicht der des "lieben Gottes", an den sie sich abends wendet. Ihr Kinderglaube an das Gute wird erschüttert.

In rund 90 Minuten gelingt es dem Ensemble, die komplexe Thematik rund um Mobbing und Ausgrenzung, Mut und Freundschaft packend rüberzubringen. Auch wenn das Ende desillusionierend, ja frustrierend wirkt - es impliziert, dass man eben doch die Wahl hat, sich für oder gegen jemanden oder etwas zu entscheiden.

Die nächsten Termine: Heute, morgen und Donnerstag jeweils um 9.30 Uhr, Sonntag 15 Uhr. Tel. (06 81) 958 28 30 und www.ueberzwerg.de

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