Bei Milchpreisen bleibt die EU hart

Brüssel. Die Zeichen stehen auf Sturm. Gerade mal 20 Cent bekommen die deutschen Landwirte noch für einen Liter Milch. Doch auch gestern blitzte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) bei ihren europäischen Kollegen mit der Forderung ab, wenigstens die jährliche Anhebung der Quote auszusetzen

Brüssel. Die Zeichen stehen auf Sturm. Gerade mal 20 Cent bekommen die deutschen Landwirte noch für einen Liter Milch. Doch auch gestern blitzte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) bei ihren europäischen Kollegen mit der Forderung ab, wenigstens die jährliche Anhebung der Quote auszusetzen. "Das ist nicht die Hilfe, die wir brauchen", sagte der amtierende EU-Ratsvorsitzende und schwedische Agrarminister Eskil Erlandsson. "Ich bin für einen freien Milchmarkt", ergänzte Hollands Ressortchefin Gerda Verburg. Nun droht Europa ein neuer Milchbauern-Streik. Der Dachverband der Milchviehhalter in der EU will Donnerstag entscheiden. Einen Lieferstopp soll es aber wohl nur in Frankreich geben, da Gerichte deutschen Bauern den Streit untersagt haben. Trotzdem bleibt die Frage, wen man damit wozu bewegen will. Weniger Kühe Die Diagnose wird nämlich von allen geteilt: Mit 20 Cent je Liter kann kein Bauer überleben. Kommission, Milchbauern und Politiker sind sich einig: Eine Verknappung der Milch würde den Preis steigen lassen. Die Milchquote sei dafür aber nicht der richtige Weg, sagte Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel. Die Produktion liege heute schon um vier bis fünf Prozent unter der erlaubten Menge. Aigner dagegen will die jährliche Erhöhung der Quote bis zur Freigabe 2015 aussetzen lassen. Damit stellt sie sich genaugenommen gegen die eigene Kanzlerin. Die hatte nämlich beim EU-Gipfel im Juni den heutigen Kurs abgesegnet. Darüber hinaus fordert Aigner, dass die Kommission nicht erst bei einem Preis von 22 Cent je Liter durch Milchkäufe den Preis stützten solle, sondern bereits bei 27 oder 28 Cent. Das wollen nicht einmal die Milchbauern selbst. Der Chef des europäischen Verbands EMB, Romuald Schaber, warnte gestern davor, zu einem "System wie in den 90er Jahren zurückzukehren". Er plädierte für eine freiwillige Stilllegung der Milch-Produktion durch Umstellungen bei der Viehhaltung. Damit ist Schaber von den Vorstellungen der EU-Agrarkommissarin nicht weit entfernt: Auch sie hatte vor der Sommerpause angeregt, den Bestand an Milchvieh zu reduzieren. Eine Hoffnung haben alle Beteiligten noch: In den kommenden Wochen wird ein Bericht von Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes erwartet. Sie durchleuchtet die Preisbildung des Einzelhandels, weil Brüssel den Verdacht hegt, dass vor allem große Handelsketten die Molkereien mit Knebelverträgen zwingen, Milch extrem billig abzugeben. Die Landwirte erhalten dann so wenig, dass nicht einmal die Produktionskosten gedeckt sind. Auf den Bericht von Neelie Kroes wollen die Bauern aber nicht warten: Sie demonstrierten gestern vor dem Ratsgebäude für das Überleben ihrer Höfe. drMeinung

Schieben und ziehen zugleich

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes Der Milchmarkt ist völlig aus den Fugen geraten. Die eine Seite kämpft gegen das Ritual der Milchquote, wohl wissend, dass es kaum etwas bringt, die jährliche Anhebung auszusetzen. Auf der anderen Seite verweigern die Vorkämpfer für einen liberalen Markt den Landwirten dieses Zugeständnis, weil sie darin ein Symbol für staatliche Regulierung sehen. Gleichzeitig kauft die Kommission Milch wie zu besten Überschuss-Zeiten auf - wenn das kein Relikt einer Politik ist, die man eigentlich überwinden wollte, was dann?Landwirte, Kommission und Agrarpolitiker ziehen zugleich an einem Strang und protestieren gegeneinander. Dabei leidet der Markt vor allem darunter, dass die Nachfrage sinkt, was nicht einmal Brüssels allmächtige Kommission ändern kann. Andererseits laufen die Betroffenen Sturm, weil sie an einem Modell europäischer Intervention hängen, dessen Tage gezählt sind. Vermutlich sollten sie weniger auf ihre Verbandsfunktionäre hören. Zumindest nicht auf jene, die ihnen glauben machen wollen, man könne auf Dauer so weitermachen wie bisher.

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