Behutsamkeit ist eine Zier

Saarbrücken

Saarbrücken. Die Erzählungen spielen allesamt in Japan, alle haben japanische Hauptfiguren: Es ist nicht das hyperventilierende, mit allen Insignien der Moderne ausgestattete Japan, das wir aus Filmen wie "Lost in Translation" kennen; auch kein brodelndes, niemals schlafendes, wie es Jean Philippe Toussaint in "Sich lieben" geschildert hat, sondern eher ein im Verschwinden begriffenes: Franka Potentes Figuren hinken dem Fortschritt etwas hinterher, ihr Denken scheint noch in einer anderen Zeit festzustecken. Sie sind höflich, demütig und an Konventionen gebunden, die den Bewegungsradius einschränken und doch zugleich auch ein wenig Sicherheit versprechen: Durch ihre Helden hindurch aber zieht sich oftmals schon ein Riss. Sie gehen etwa wie Frau Michi einer alten Handwerkskunst nach, die sie kaum noch ernährt: Sie bemalt Fächer mit traditionellen Motiven. Eines Tages erscheint in Frau Michis Laden ein Europäer. Beide unterhalten sich, ein wenig entfächern sich ihre Lebensläufe. Der Mann kauft zwei von Frau Michis Werken, eines davon ein eigentlich unveräußerliches Familienstück. Am nächsten Tag erhält sie Post von dem Fremden - er schickt ihr das Erbstück als Geschenk zurück. Die längste Erzählung des Bandes, "Tamago", ist zugleich auch eine der eindrücklichsten: Der Witwer Masamori verkauft in seinem Laden Zori, japanische Sandalen. Er kommt leidlich zurecht, mit der Einsamkeit ist es schon schwieriger. Ein Nachbar, Herr Ogawa, kümmert sich rührend um ihn. Er beschafft ihm auch einen Fernseher, der das Alleinsein etwas abfedern soll. Eines der wenigen Programme, das er empfangen kann, ist ein amerikanischer Sportsender, der Wrestlingkämpfe überträgt. Herr Masamori kennt weder die Sportart noch versteht er die Kommentare, aber er ist von einem der Kämpfer so beeindruckt, dass er von ihm im Traum aufgesucht wird und ihn zu seinem heimlichen Begleiter macht: Der sanfte Riese wird für ihn zum Samurai, der ihn auf seine letzte Reise begleitet. Franka Potente erzählt diese und die anderen Geschichten nüchtern; nicht umsonst trägt der Band die amerikanische Gattungsbezeichnung "Stories". Im Austarieren von Fremdheit und Nähe gewinnen sie ihren besonderen Reiz. Für all das hat Potente einen Ton gefunden, der am ehesten mit dem Wort behutsam zu beschreiben wäre; und sie erzeugt eine Atmosphäre, die den Figuren den nötigen Raum zum Lebendigwerden gibt.Ganz am Ende des Bandes langen wir bei einer neuen Generation an, die zwar noch mit dem Erbe der Eltern aufwächst, aber längst schon von anderen Sehnsüchten geleitet wird: Naski (17) verbringt im Rahmen eines Schüleraustauschs ein Jahr in Los Angeles. Sie verliebt sich aber nicht nur in L.A., sondern auch in einen Jungen. Als ihr Großvater stirbt, muss sie für die 49-tägige Trauerzeit zurück nach Japan - ein allzu großes Opfer. Von den Riten ihrer Vorfahren hat sie sich da schon zu weit entfernt. Auch hier ragt das alte noch in ein neues Leben hinein. Potente beschreibt in ihren gelungenen Geschichten auf dezente, anteilnehmende Weise diesen Übergang.Franka Potente: Zehn. Stories. Piper, 167 Seiten. 16,95 €

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