Bedrohungs-Kulissen

Saarbrücken. Unter dem Titel "Dead Cities" hat der Amerikaner Mike Davis 2003 ein Buch veröffentlicht, das eine schauderhafte Facette des Zweiten Weltkrieges ans Licht brachte, die vielen bis dahin weithin unbekannt gewesen sein dürfte. Davis zeichnet in einem Essay nach, wie die Air Force die spätere Bombardierung von Berlin und Tokio im US-Bundesstaat Utah zuvor erprobte

 Rekonstruktion der für die Bombardement-Übung geschaffenen Kulissen als Teil von Loppins Installation. Foto: Künstlerhaus

Rekonstruktion der für die Bombardement-Übung geschaffenen Kulissen als Teil von Loppins Installation. Foto: Künstlerhaus

Saarbrücken. Unter dem Titel "Dead Cities" hat der Amerikaner Mike Davis 2003 ein Buch veröffentlicht, das eine schauderhafte Facette des Zweiten Weltkrieges ans Licht brachte, die vielen bis dahin weithin unbekannt gewesen sein dürfte. Davis zeichnet in einem Essay nach, wie die Air Force die spätere Bombardierung von Berlin und Tokio im US-Bundesstaat Utah zuvor erprobte. Mitten in der Wüste wurde auf einem Armeegelände in einem großen Sandkastenspiel vorweggenommen, was später in der Bombardierung von Berlin (und 1945 bei dem schweren Angriff auf Tokio) "uraufgeführt" wurde, wie die Kunsthistorikerin Lucia Schreyer es im Katalogvorwort zu der jüngsten Künstlerhaus-Ausstellung ausdrückt.Diese fußt auf Davis' Recherchen, die dem französischen Künstler Jonathan Loppin 2009 in die Hände fielen. In seiner Rauminstallation "Proving Ground" unternimmt Loppin den Versuch, Davis' Quellenaufarbeitung in künstlerischer Form zweitzuverwerten. Das Unternehmen misslingt, weil die Historie in so umfassender Weise für sich spricht, dass er nichts Wesentliches hinzuzufügen vermag.

US-Präsident Roosevelt entschied 1943, die todbringenden "Qualitäten" einer neu entwickelten Brandbombe (die M69) unter möglichst realen Bedingungen zu testen. Also ließ man in der amerikanischen Wüsten originalgetreu Häuser nach deutschem bzw. japanischem Vorbild erbauen. Man nahm es dabei sehr genau. Von den (bei der Generalprobe für die Bombardierung Berlins zur Simulierung der dortigen Luftfeuchtigkeit eigens zuvor benetzten) Holzdachkonstruktionen bis hin zu den Interieurs, die eine bürgerliche Idylle mit Wohnstuben exakt imitierte und dabei auch Ehebetten und Spitzendeckchen nicht vergaß.

Hollywood-Dekorateure legten dafür laut Davis selbst Hand an. Die Regie bei diesem ebenso filmreifen wie perfiden Kulissenbau übernahm der deutsch-jüdische Architekt Erich Mendelsohn, der 1941 in die USA emigriert war.

In der Saarbrücker Ausstellung selbst sieht man einen Nachbau der deutschen Reihenhaussiedlung in Miniaturform, deren Dächer Loppin zum Teil mit einem Hammer eingeschlagen hat. Historische Luftbilder der Wüstenkriegsspiele - von Loppin zu mikroskopischen Aufnahmen der biochemischen Niederschläge vergrößert - verklammern die fast niedlichen Hauskopien mit der eigentlichen Rauminstallation nebenan. Mit Auszubildenden des Berufsbildungszentrums Burbach schuf Loppin ein begehbares Hausmodell: eine Form der Dekonstruktion mittels Konstruktion, wenn man so will und damit die Umkehrung des damaligen Prinzips. Als Denkoperation ist das nicht uninteressant, wohl aber deren ziemlich banales, künstlerisches Ergebnis.

Steilen-Retrospektive

Im Studio nebenan erinnert der Saarländische Künstlerbund in einer kleinen Ausstellung an den Saarbrücker Künstler Christoph Josef Steilen (1914-1990). Unter dem Einfluss seiner Begegnung mit Willi Baumeister und Fernand Léger wandte sich Steilen in den 50er Jahren von der gegenständlichen Malerei ab und umso ergiebiger der abstrakten zu. Nicht alles, was diese kleine Auswahl zeigt, hat Bestand - gerechtfertigt ist dieser Blick zurück gleichwohl. Von ärgerlicher Vordergründigkeit hingegen ist das im Studio Blau darunter gezeigte Vierminuten-Video "Fuck the war" von Beate Geissler und Oliver Sann. Der dort umgekehrt intendierte Blick nach vorne (mit den Kindern von heute als den Kriegern von morgen) wirkt nur voyeuristisch. cis

Jeweils bis 13. November, Dienstag bis Sonntag: jeweils 10 bis 18 Uhr

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