Beckinger Schraubenfabrik wieder pleite

Beckingen · Nach einem Jahr des Niedergangs sehen Landesregierung, Gewerkschaft und Betriebsrat jetzt mit der Insolvenz die Chance für einen Neuanfang der Beckinger Schraubenfabrik

 Im Sommer 2014 hatten Beckinger Whitesell-Beschäftigte in Saarbrücken gegen das Geschäftsgebaren des US-Unternehmers Whitesell demonstriert.

Im Sommer 2014 hatten Beckinger Whitesell-Beschäftigte in Saarbrücken gegen das Geschäftsgebaren des US-Unternehmers Whitesell demonstriert.

Foto: Becker & Bredel

Die Beckinger Schraubenfabrik steckt wieder in der Insolvenz - zum dritten Mal innerhalb von sechs Jahren. Der als Heuschrecke verschriene amerikanische Eigentümer, die Whitesell Firmengruppe aus Florida, hat für seine vier deutschen Werke am späten Mittwochnachmittag Insolvenzantrag gestellt. Insgesamt sind 1300 Mitarbeiter betroffen, davon 340 in Beckingen .

"Erstmal war das ein Schock und eine Überraschung", da Whitesell gerade über den Verkauf der deutschen Fabriken verhandelte, sagte gestern Betriebsratschef Gerfried Lauer. Dem Schock folgten ganz andere Gefühle: Wut, Freude und Angst. Wut, weil "Whitesell einen Tag vor der Entgeltzahlung Insolvenz beantragt hat", sagte Guido Lesch, 2. Bevollmächtigter der IG Metall Völklingen. Fast einen Monat wurde für Whitesell gearbeitet - und das ohne Lohn. Zudem wird das Insolvenzgeld jetzt nur bis März gezahlt. Damit fehle ein Monat, um eine Zukunftslösung zu finden. "Daran sieht man, wie skrupellos Whitesell agiert", so Lesch.

Zugleich ist "die Freude groß, dass Whitesell endlich weg ist". Dafür hatten Betriebsrat, Gewerkschaft und Belegschaft über ein Jahr gekämpft - zuletzt im Dezember mit einer Demonstration in Beckingen mit mehr als 1000 Teilnehmern. Aus Sicht der Arbeitnehmervertreter hatte Whitesell die Kunden mit extremen Preiserhöhungen und Knebelverträgen vergrault und die Schrauben-Gruppe seit der Übernahme Anfang 2014 fast ruiniert. Die Auslastung in Beckingen beträgt nur knapp 30 Prozent. "Was die Zukunft angeht, gibt es daher große Ängste", sagt Lesch. Er sieht aber auch Chancen für einen Neuanfang. Mehrere Kaufinteressenten hätten das Werk bereits besichtigt.

Heute Mittag will der Düsseldorfer Insolvenzverwalter Biner Bähr mit seinem Team an allen vier Standorten gleichzeitig die Mitarbeiter informieren, wie er gestern mitteilte. "Vor allem wird es darauf ankommen, ob und inwieweit die Kunden künftig Aufträge platzieren. In den vergangenen Monaten ist es wohl zu erheblichen Differenzen zwischen dem Unternehmen und einigen Kunden gekommen. Hier werde ich ansetzen müssen", sagte Bähr.

Saar-Wirtschaftsstaatssekretär Jürgen Barke (SPD ) macht Hoffnung, dass es in Beckingen weitergeht. Auch sagt er Hilfe zu - etwa bei Einrichtung einer Beschäftigungsgesellschaft. Er ist zuversichtlich "dass wir jetzt in einen echten Verkaufsprozess einsteigen und eine schnelle Lösung finden können". Es gebe drei "sehr solvente Interessenten". Einer habe bereits Kontakt zum Insolvenzverwalter aufgenommen. Auch die Nedschroef Holding, die in Fraulautern Schrauben produziert, erwäge eine Übernahme, heißt es. Es gibt aber einen Haken. Whitesell hat, wie Staatssekretär und Gewerkschafter sagen, alle Unternehmenswerte - Gebäude, Maschinen, Patente und Lizenzen - nach Luxemburg ausgelagert. Die Frage ist nun, ob es gelingt, diese Werte "in die Insolvenzmasse hineinzuziehen", wie Barke sagt. Möglicherweise spekuliert Whitesell darauf, die Firmenwerte für viel Geld verkaufen zu können.

Meinung:

Alles ist besser als Whitesell

Von SZ-RedakteurVolker Meyer zu Tittingdorf

Jetzt hat die Beckinger Schraubenfabrik wieder eine Chance, auch wenn der bisherige Eigentümer Whitesell verbrannte Erde hinterlassen hat. Eine Zukunft kann es nur ohne Whitesell geben. Das war seit Monaten klar. Durch die Insolvenz rückt die Übernahme durch einen hoffentlich seriösen Investor endlich in greifbare Nähe - zumal es offenbar ernsthafte und professionelle Interessenten gibt. Doch noch ist der Weg nicht frei. Whitesell gehören weiterhin die Firmenwerte der deutschen Schrauben-Gruppe. Man kann nur hoffen, dass es dem US-Konzern nicht gelingt, daraus noch Profit zu schlagen. Die Heuschrecke darf nicht triumphieren.

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