„Ich kann die Bürger in Deutschland nicht überzeugen“

Die Wirtschaft verspricht sich viel vom Freihandelsabkommen mit den USA, die Verbraucher sind alarmiert. Die TTIP-Kritik im Exportland Deutschland überrascht EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. Die Schwedin, die für die Europäer mit den Amerikanern verhandelt, sieht die Bundesregierung am Zug. Mit Malmström sprach SZ-Korrespondent Christopher Ziedler.

Frau Malmström, kommen Sie vom Regen in die Traufe? Erst waren Sie als Innenkommissarin für die Flüchtlingskrise zuständig, nun betreuen Sie als Handelskommissarin das nicht minder strittige TTIP-Abkommen.

Malmström: Beide Themen sind herausfordernd, umstritten, erzeugen viele Emotionen. Handel ist wichtig, aber es gibt einen großen Unterschied: Wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken, verfolgen dich in der Nacht die Dämonen. Hatte ich einen miesen Verhandlungstag, ist das schlecht, es trifft mich aber nicht mitten ins Herz.

Zuletzt gab es Rückenwind für TTIP. Das Europaparlament stimmte unter Auflagen dafür, der US-Kongress erteilte Präsident Barack Obama ein Verhandlungsmandat. Sind Sie optimistischer als, sagen wir, vor einem Monat?

Malmström: Das waren sehr positive Ereignisse. Das Kongressmandat ermöglicht der Regierung, das transpazifische Handelsabkommen abzuschließen und mit uns Europäern voranzukommen. Das Europaparlament hat meine Linie unterstützt. Rückenwind gab es auch vom G-7-Gipfel Anfang Juni.

Bringt der Rückenwind Sie schneller ans Ziel? Der EU-Gipfel hat das Jahresende als Datum für das Ende der Verhandlungen genannt, Sie waren zurückhaltender.

Malmström: TTIP kann nicht zum Jahresende fertig sein - das war nie realistisch. Wenn wir bis Jahresende alle Angebote und Forderungen auf dem Tisch haben und schnell vorankommen, kann das Skelett des Abkommens stehen. In diesem Fall hätten wir gute Chancen, es noch mit der Obama-Administration fertig zu verhandeln, was unser Ziel ist.

Warum soll es mit Obama eingetütet werden? Man könnte argumentieren, dass wäre mit einem freihandelsliebenden Republikaner im Weißen Haus einfacher.

Malmström: Wir brauchen das Abkommen schnell, um unsere Wirtschaft anzukurbeln.

Kritiker befürchten, dass Sie für gar nicht so hohe Wachstumszahlen Europas Standards opfern. In Deutschland sehen Umfragen eine Mehrheit gegen TTIP. In Großbritannien oder Frankreich scheint sich die Stimmung zu drehen - ebenfalls dagegen.

Malmström: Ich wäre verrückt zu bestreiten, dass es in vielen Ländern heftige Debatten gibt. Insgesamt gibt es in der EU wohl eine Mehrheit dafür, aber das ist eher eine schweigende Mehrheit. Die Kritik ist sehr laut. Ich habe den Eindruck, dass in einigen Ländern die Skepsis eher wächst.

Sind Sie eigentlich überrascht, dass der Widerstand gegen das Abkommen in Europas größter Exportnation am größten ist?

Malmström: Es gibt in Deutschland eine traditionell starke grün-alternative Bewegung gibt. Deutschland profitiert aber mehr als alle anderen Staaten in Europa von TTIP. Ich bin manchmal schon überrascht, wie heftig die Kritik ist in einem Land, das in hohem Maße vom Export abhängt und schon so stark mit der US-Wirtschaft verflochten ist.

Wie wollen Sie den Kritikern begegnen?

Malmström: Die Hauptverantwortung liegt bei den Staaten, in deren Namen ich verhandele. Ich kann die Bürger in Deutschland nicht überzeugen, das muss die deutsche Politik machen. Ich weiß, dass Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel sehr engagiert sind, aber vielleicht müssen sie noch mehr tun - auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene.

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