Bankenkollaps und Bühnenkoller

Mutig ist es, wenn ein Film in seinem Lauf den Kurs ändert, in einem anderen Genre oder einer anderen Stimmung endet, als er begonnen hat - denn es droht die Gefahr, dass filmische Brüche die Glaubwürdigkeit bröckeln lassen

 Grandios: Stine Fischer Christensen in "Die Unsichtbare". Foto: Falcom

Grandios: Stine Fischer Christensen in "Die Unsichtbare". Foto: Falcom

Mutig ist es, wenn ein Film in seinem Lauf den Kurs ändert, in einem anderen Genre oder einer anderen Stimmung endet, als er begonnen hat - denn es droht die Gefahr, dass filmische Brüche die Glaubwürdigkeit bröckeln lassen. "Mike" von Lars Blumel (Regie/Buch) geht das Risiko ein und erzählt von Mike, der eigentlich Fabrice heißt, den Namen aber nicht mag, im Gegensatz zu allem, was sich schnell bewegt - ob Motorrad oder die Autos, die er ab und an für eine Spritztour stiehlt, bevor er im elsässischen Nest Kembs wieder vor sich hin döst. In der ersten Hälfte funktioniert der französischsprachige Film bestens als kauzige Komödie der angeschrägten Charaktere, mit viel Wachstischtuch-Wohnküchen-Ambiente und pointierten Dialogen; wenn auch nicht von Mike/Fabrice, denn der sagt wenig (schön dumpf gespielt von Marc-André Grondin), auch nicht, als seine Freundin schwanger wird. Er gibt sich Mühe als Vater, aber das Erwachsenwerden ist seine Sache nicht, auch wenn ein Polizist ihm Hilfe anbietet, die er eigener Problem wegen dann nicht leisten kann. "Mike" verdüstert sich im letzten Drittel, der Wohlfühl-Pop auf der Tonspur schwindet, der Lebensernst hat den Film und seine Figur eingeholt. Nicht alles passt da nahtlos zusammen - die Liebesgeschichte etwa wirkt wenig glaubhaft, und ein dilettantischer Banküberfall streift die Groteske. Aber die Geschichte dieses weder ganz intelligenten noch gänzlich sympathischen Fabrice ist wirkungsvoll inszeniert, im Komödiantischen wie im Tragischen.Mi 22.15 Uhr: CS 1; Do 20 Uhr: CS 4; Fr 18.30 Uhr: Camera Zwo; So 13.15 Uhr: CS 2.

"Der Wert ihrer Papiere steht bei null", muss Eva Meyenburg von ihrem Bankberater hören, "über das Risiko hatte ich Sie ja informiert." Die angelegten 120 000 Euro sind mit einer US-Bank untergangen, die Rente reicht nicht. Was tun? "Crashkurs" von Anika Wangard (Regie und Buch) bricht die Finanzkrise auf die persönliche Ebene herunter und lässt die wohlgeordnete Pensionärswelt eines Ehepaares zusammenbrechen, das sich nun wehrt. Mit anderen Geprellten geht es vor Gericht (erfolglos), blockiert die Bank und plant weiter. Unabhängig vom Thema der Finanzkrise erzählt der optisch brave Film, dessen lesbische Coming-Out-Nebenhandlung der Tochter bemüht wirkt, auch von einem Ehepaar, dessen gemeinsames Leben gedroht hat, in den täglichen Ritualen (vor allem dem des Teetrinkens) zu erstarren. Dass die Krise die beiden einander wieder annähert, mag klischeehaft klingen, ist von Ulrich Voß und Monika Lennartz aber anrührend gespielt. Lennartz ist die tragende Kraft, in nahezu jeder Szene zu sehen, oft in Bewegung, auf dem Weg zur Bank oder zur Versammlung der Geprellten. "Crashkurs" endet in wehmütiger Stimmung des Scheiterns, aber nicht in der Katastrophe. Der versöhnliche Film, der sein Thema nicht in aller Konsequenz durchspielen will, gönnt dem Ehepaar mehr als seine Bank.

Heute 22.15 Uhr: CS 3; Do 20 Uhr: FH; Fr 17.30 Uhr: CS 1;

So 18.30 Uhr: CS 1.

Dies ist einer der Filme des Wettbewerbs, den so mancher Zuschauer wohl vorzeitig verlassen könnte - was aber nicht gegen das Werk spricht. "Der Fluss war einst ein Mensch" von Jan Zabeil geht seinen Weg höchst konsequent und folgt dem Umherirren eines jungen Deutschen, der sich mehr und mehr in der Wildnis eines afrikanischen Landes verliert. Mit einer Autofähre setzt er über einen Fluss, ein alter Fischer fährt ihn mit einem Boot in die Wildnis - und stirbt überraschend. Der Alleingelassene (Alexander Fehling, "Goethe!") tritt eine Odyssee durch eine ihm fremde Welt an, durch Dörfer mit einer ihm fremden Sprache und Kultur. Der Film, mit minimalem Team improvisierend entwickelt, gleitet meditativ dahin, wie ein Wachtraum. Den wird nicht jeder mitträumen wollen, aber was kümmert es diesen eigenwilligen, selbstbewussten Film?

Heute 20 Uhr: CS 3; Do 11 Uhr, CS 1; Fr 15: CS 4; So 11 Uhr: CS 3.

Regisseur und Ko-Autor Christian Schwochow ("Novemberkind") macht es einem mit "Die Unsichtbare" nicht leicht. Brillante Passagen stehen manch Ungelenkem oder Überdeutlichem gegenüber, was einen mehr oder eben weniger stören kann - für zwei Redaktionskollegen ist "Die Unsichtbare" der Wettbewerbsfavorit. In farbsatten Kinobildern (Kamera: Frank Lamm) erzählt der Film von der Schauspielstudentin Fine, eher graue Maus denn bunter Vogel. Umso überraschender, dass ein Großregisseur ausgerechnet sie als Kameliendame besetzt. Der will Fine ganz zu seinem Geschöpf machen, sie lässt sich darauf ein, dankbar, zum ersten Mal wahrgenommen zu werden, nachdem man ihr an der Schauspielschule attestiert hat: "Man sieht Dich einfach nicht." Um sich in die Rolle des Vamps hineinzufinden, pirscht sie sich ins Nachtleben, mit blonder Perücke auf dem Kopf und Camilles Versen auf der Zunge. Stine Fischer Christensen spielt diese Unsichtbare und zu zerbrechen Drohende, die die Grenze zwischen Selbsterfahrung und Selbstverleugnung finden muss, höchst intensiv. Und auch Ulrich Noethen hat große Szenen als manipulierender Zuckerbrot/Peitsche-Großkünstler mit Hofstaat, in einem Theatermilieu, das im Film spätpubertär und zutiefst narzisstisch wirkt. Als Kontrast zu dieser Welt bietet der Film Fines Familie auf, mit nahezu überforderter Mutter und behinderter Schwester, zudem die mögliche Romanze mit einem Tunnelbauer, die aber durch einen Zufall endet, der konstruierter kaum sein könnte. Da wirkt das Drehbuch überfrachtet und überdeutlich - Schwochows Inszenierung und die Darsteller sind stark genug, da hätte es dieser Zuspitzungen nicht bedurft.

Heute 19.30 Uhr: CS 1; Do 17 Uhr: CS 4; Fr 12.30 Uhr: CS 2;

So 13 Uhr: CS 1.

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