Anselm Kiefer, der Bagger und das Licht

Den Meister sieht man erst nach einer Viertelstunde. Und den ersten Satz sagt Anselm Kiefer erst nach 42 Minuten. Die Dokumentation "Over your cities grass will grow" ist eben kein konventionelles Künstlerporträt, keine biographische Nachzeichnung mit Kinderbildern oder begleitenden Interviews

Den Meister sieht man erst nach einer Viertelstunde. Und den ersten Satz sagt Anselm Kiefer erst nach 42 Minuten. Die Dokumentation "Over your cities grass will grow" ist eben kein konventionelles Künstlerporträt, keine biographische Nachzeichnung mit Kinderbildern oder begleitenden Interviews. Die britische Dokumentarfilmerin Sophie Fiennes ("A pervert´s guide to cinema") war 2008 einer Einladung des deutschen Künstlers ins französische Barjac gefolgt - dort hatte Anselm Kiefer seit 1993 in einer ehemaligen Seidenfabrik gewirkt: Er legte mit Baggern ein verzweigtes Tunnelsystem an und arbeitete oberirdisch mit schwerem Gerät, darunter ein Flammenwerfer, an seiner rauen Kunst.Der Film zeigt ihn zwar bei der Arbeit in dieser großen Werkstatt, aber das Entscheidende für die Regisseurin ist weniger die Person denn seine Kunst: Minutenlang, fast meditativ schwebt die Kamera durch die Tunnel, zu diesen Aufnahmen im breiten Cinemascope-Kinoformat erklingt György Ligeti; der Film führt in eine andere Welt, aber er will sie nicht erklären. Kiefer wird auch erstmal nicht direkt befragt, sondern Fiennes filmt aus der Distanz ein Interview zwischen Kiefer und dem Journalisten Klaus Dermutz mit - fast, als sei Kiefer selbst eine Installation in seinem eigenen Kunstpark. Er erzählt von den Anfängen in Barjac, "da war erstmal nix, nur Tundra", und klingt, wenn er vom Roden des Landes erzählt, mit seinem badischen Einschlag ein bisschen wie Trainer Jogi Löw: "Das war der schönnnschte Moment."

Interessanter als das Gespräch, das zwischen Erhellendem und pseudo-tiefgründiger Kunstrhetorik ("Jedes Licht ist interessant") changiert, ist die Arbeit vor Ort, dem sich der Film dann wieder in aller Ruhe und mit einer gewissen Distanz widmet. Wenn etwa ein großformtiges Gemälde, flach auf dem Boden liegend bearbeitet, mit einem Kran langsam in die Senkrechte gezogen wird, wenn Erde und Gips abbröckeln und herabrieseln, um langsam das kolossale Bild eines Waldes freizulegen - dann hat der Film seine packendsten Momente. tok

Erschienen bei Mindjazz.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort