Anrüchiger Pragmatismus

Meinung · Die Vereinten Nationen sind in der Vergangenheit immer wieder zu Recht dafür kritisiert worden, bei Krisen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu langsam oder wenig effektiv reagiert zu haben. Die ethnischen Säuberungen im Kosovo und der Völkermord in Ruanda sind für dieses Versagen markante Beispiele

Die Vereinten Nationen sind in der Vergangenheit immer wieder zu Recht dafür kritisiert worden, bei Krisen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu langsam oder wenig effektiv reagiert zu haben. Die ethnischen Säuberungen im Kosovo und der Völkermord in Ruanda sind für dieses Versagen markante Beispiele. Umso überraschender nun das Tempo, mit dem der Sicherheitsrat drastische Sanktionen gegen das kriminelle Regime von Muammar al-Gaddafi verhängt und sogar den Internationalen Gerichtshof in Den Haag eingeschaltet hat. Gepaart mit den Äußerungen von führenden Regierungschefs - darunter Barack Obama und Angela Merkel - zum Legitimitätsverlust des Diktators und mit den Sanktionsankündigungen der EU und USA sind dies deutliche Signale. Sie spiegeln die Isolation Gaddafis wider und machen ihm klar: In der internationalen Gemeinschaft ist kein Platz mehr für dich.Die Frage, ob die politischen Muskelspiele des Westens jedoch dazu führen werden, dass der Gaddafi-Clan die Bluttaten seiner loyalen Anhänger gegenüber der eigenen Bevölkerung unterbindet, ist damit jedoch noch lange nicht beantwortet. Gaddafi und seine Familie stehen nun mit dem Rücken zur Wand und könnten sich einreden, es sei nichts mehr zu verlieren. Taktisch war es deshalb von Uno und Nato ein Fehler, die Option eines militärischen Eingreifens ohne Not schnell ganz in den Bereich des Unvorstellbaren zu verbannen. Doch zumindest auf UN-Ebene war alles andere wohl nicht mehrheitsfähig - zumal mit China und Russland zwei Veto-Mächte am Tisch sitzen, deren Menschenrechtsbilanz nicht überzeugt.

Desungeachtet lassen sich aber schon jetzt Lehren für die Weltgemeinschaft aus den Vorgängen in Libyen ziehen. Eine der wichtigsten: Politischer Pragmatismus kann gelegentlich dazu führen, dass man irgendwann blamiert dasteht. Vor zwei Jahren saßen die G8-Regierungschefs in Italien noch mit dem früheren Terror-Drahtzieher Gaddafi am Tisch - und der konnte sich auch durch die Aufnahme Libyens in den UN-Menschenrechtsrat als Vertreter humanitärer Anliegen betrachten. Vor allem sein Ölpotenzial geschickt ausnutzend, handelte Gaddafi dem Westen immer wieder Zugeständnisse ab. Aus heutiger Sicht sind das schmerzhafte Schandflecke: etwa die Waffenlieferungen an Tripolis oder die skandalöse Freilassung des angeblich sterbenskranken Lockerbie-Terroristen aus britischer Haft. Verbunden waren diese anrüchigen "Deals" mit der Ansicht, man habe es mit einem geläuterten und ehrenwerten Mann zu tun. Wie man sich doch irren kann . . .

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