Anachronismen als Farbtupfer

Kaiserslautern. Wann wurden die Segnungen der Elektrizität vom Menschen erstmalig genutzt? Vermutlich um 600 vor Christus im alten Babylon unter König Nebukadnezar. Das konnte man bei der Premiere von Verdis Oper "Nabucco" am Samstag im Kaiserslauterer Pfalztheater lernen. In der Inszenierung von Kerstin Maria Pöhler zierte des Königs Schreibtisch nämlich ein beleuchteter Globus

 Melanie Lang als Fenena, Wieland Satter als Zaccaria und Karsten Mewes als Nabucco (rechts). Foto: Hans-Jürgen Brehm-Seufert

Melanie Lang als Fenena, Wieland Satter als Zaccaria und Karsten Mewes als Nabucco (rechts). Foto: Hans-Jürgen Brehm-Seufert

Kaiserslautern. Wann wurden die Segnungen der Elektrizität vom Menschen erstmalig genutzt? Vermutlich um 600 vor Christus im alten Babylon unter König Nebukadnezar. Das konnte man bei der Premiere von Verdis Oper "Nabucco" am Samstag im Kaiserslauterer Pfalztheater lernen. In der Inszenierung von Kerstin Maria Pöhler zierte des Königs Schreibtisch nämlich ein beleuchteter Globus.

Dass wissenschaftliche Forschung und historische Chronologie Purzelbäume schlagen, muss den Besucher nicht schrecken. Pöhler will keinen Geschichtsunterricht von der Bühne aus erteilen. Sie versteht Soleras Libretto zu Verdis "Nabucco" als zeitlose Parabel vom Freiheitskampf eines Volkes (hier der Juden) und dem (erfolgreichen) Widerstand gegen menschenverachtende Diktatur. Solch ein allegorisch verpacktes und politisch-moralisch vertieftes humanitäres Gleichnis kann folgerichtig auf das historisch Getreue verzichten und Anachronismen als reizvolle Farbtupfer einsetzen. Da braucht man sich dann nicht zu wundern, wenn Schlips und Kragen schon zu Olims Zeiten gang und gäbe sind oder die gefangenen Juden, wie im Freibad entblößt, ein Bild des Jammers abgeben (Kostüme Dietlind Konold). Gezielte Symbolismen (so etwa eine Papierkrone für entschwundene Macht) kanalisieren den Aussagewert.

Aber eine Oper besteht ja nur zum Teil aus Text. Für die musikalische Ausfütterung hat sich Verdi eine Musik einfallen lassen, die verschwenderisch mit Formen und Farben prunkt. Ein schlagerartiger melodischer Ohrwurm nach dem anderen. Viele Lieder sind so populär, dass man sie innerlich mitsummt. Der mimisch gut einstudierte und exakt reagierende Opernchor etwa erfüllt seine oft handlungstragende Funktion mit prallem Leben.

Wenn Musik magisch leuchtet

Nicht nur der berühmte "Gefangenenchor" gelang wie aus dem Bilderbuch. Als musikalische Zugnummern explodierten in rascher Folge aufwendige Rezitative und Arien, die das grau-karge Bühnenbild (Herbert Murauer) magisch beleuchteten. Ausdrucksstark Bariton Karsten Mewes (vom Nationaltheater Mannheim) als überheblicher, später gedemütigter und endlich bekehrter Nabucco mit einer sehr flexiblen Stimme, die den jeweiligen geforderten psychischen Bewusstseins-Nuancen stets gerecht wurde. Mit plastischem dramatischem Impetus Wieland Satter als jüdischer Hohepriester, dessen resonanzreiche, auch in den Tiefen tragende Bass-Stimme Verzweiflung und aufkeimende Hoffnung natürlich-expressiv ausschöpfte. Die helle und sehr bewegliche Tenorstimme des Portugiesen Paulo Ferreira (Ismaele) harmonierte sehr schön mit Melanie Langs nuancenreichem Mezzosopran (Fenena, Nabuccos Tochter). Zu großer Form lief die russische Sopranstin Irina Gagite als hinterhältig-verschlagene Abigaille auf, die mit strahlenden Höhen alle dramatisch erforderlichen Register zog, um Leidenschaft, Hass und Missgunst zu verdeutlichen.

Das Orchester des Pfalztheaters spielte unter Markus Bieringer wie aus einem Guss. Besonders gefiel Bieringers Entscheidung, mit raschen Tempi die Zündkraft der Nummern zu erhöhen und etwaige Gefühlsuntiefen zu umgehen. pes

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