Alleine durch die Nacht

Der britische Regisseur Steven Knight war bisher als Drehbuchautor für renommierte Regisseure wie Steven Frears („Kleine schmutzige Tricks“) und David Cronenberg („Tödliches Versprechen“) bekannt. In seiner zweiten Regiearbeit „No Turning Back“ schickt er den Beton-Facharbeiter Ivan Locke (Tom Hardy) auf eine Fahrt von Birmingham nach London, während der er über das Autotelefon die größte private und berufliche Krise seines Lebens zu bewältigen versucht. SZ-Mitarbeiter Martin Schwickert hat mit Knight über den herausragenden Film gesprochen.

 Tom Hardy spielt Ivan Locke, dessen Welt in einer Nacht zusammenbricht. Fotos: Studiocanal

Tom Hardy spielt Ivan Locke, dessen Welt in einer Nacht zusammenbricht. Fotos: Studiocanal

 Steven Knight

Steven Knight

Ein Mann, ein Auto, eine Freisprechanlage - wie erschafft man aus einem solch reduzierten Setting einen derart spannenden Film?

Knight: Indem man das Publikum sehr früh in die Probleme der Hauptfigur einbindet. Die Zuschauer sollen vergessen, dass sie die anderen Charaktere, die nur als Anrufer präsent sind, nie zu Gesicht bekommen.

Liegt in der bewussten Beschränkung die größere kreative Herausforderung?

Knight: Schon, aber man muss darauf achten, dass die Geschichte die Form bestimmt und nicht umgekehrt. Wenn man mit den Zuschauern am Anfang eine Abmachung trifft und ihnen klar sagt "Das ist alles, was ihr zu sehen bekommt", können sie sich entspannen und dem Geschehen mit einer größeren Aufmerksamkeit folgen. In einer frühen Schnittfassung des Films gab es mehr Aufnahmen, die das Auto von außen zeigen. Aber bei Testvorführungen wurde uns klar, dass die Zuschauer das nicht wollten. Sie wollten zurück ins Auto.

Warum ist Ihr Held denn Betonbauer?

Knight: Ich wollte von einem ganz gewöhnlichen Mann erzählen, dessen Geschichte es normalerweise nicht in die Lokalnachrichten geschweige denn in einen Kinofilm schaffen würde. Ivan Locke ist Betonbauer, ein geradliniger, vernünftiger, verlässlicher Mann. Was ihm passiert, könnte jedem von uns zustoßen. Es ist das gewöhnliche Drama des normalen Lebens. Außerdem hat mir die Idee gefallen, dass dieser Baustoff Lockes Charakter spiegelt. Er glaubt daran, dass man Dinge in eine solide Form bringen kann. Ich habe ihn nach dem Philosophen John Locke benannt - der Rationalist, der mit seinen Lehren Ordnung ins Chaos bringen will und das eigene individuelle Sein dieser Aufgabe unterordnet. Das ist genau das, was Ivan bei seiner Arbeit tut.

Woher kommt eigentlich das Faible des britischen Kinos für die Arbeiterklasse ?

Knight: Klasse hat in England immer noch eine sehr starke Bedeutung. Wenn man, wie ich, in die Arbeiterklasse hineingeboren wurde, wächst man im kulturellen Sinne daraus nie vollständig heraus. Man schaut auf die Welt mit anderen Augen und sieht die Dinge so, wie sie sich einem in der Kindheit erklärt haben. In England bestimmt die Klasse nicht nur die Herkunft, sie ist auch ein Auftrag. Ivan wurde in eine Welt hineingeboren, in der sich sein Vater nicht um seine familiären Pflichten kümmerte, und versucht sein Leben lang dieser Vergangenheit zu entkommen.

Locke glaubt fest daran, dass er jedes Problem auf vernünftige Weise lösen kann - eine typisch männliche Herangehensweise?

Knight: Das ist vielleicht nicht typisch, aber sehr charakteristisch für die männliche Sicht auf die Welt. Ivan Lockes Art mit bestimmten Dingen und Ereignissen umzugehen, ist vom Prinzip der Aktion bestimmt. Es geht ihm immer darum, möglichst schnell zu einer praktischen Lösung zu kommen. Das funktioniert mit Beton, aber eben nicht immer in menschlichen Beziehungen. Obwohl Ivan ahnt, dass das in der Situation, in der er sich befindet, nicht aufgehen wird, bleibt er bei dieser Haltung. Der Film versucht das Problemlösungsverhalten von Männern kritisch zu beobachten.

Gleichzeitig geht es auch um die Grenzen menschlichen Multi-Taskings.

Knight: Wir haben alle unsere Smartphones. Wenn es klingelt, schauen wir zuerst, wer es ist, und verwandeln uns - noch bevor wir das Gespräch annehmen - in die Person, die sich auf die potenziellen Bedürfnisse des Anrufers einstellt. Mit jedem Anruf wird man ein anderer Mensch. Jeden Tag müssen wir Verwandlungskünstler sein. Wir werden zum Vater, zum Bruder, zum Freund, zum Arbeitnehmer. Wir wechseln unsere Identität innerhalb von Sekunden. Je nach dem, wie es auf dem Display verlangt wird.

Der Film läuft in der Camera Zwo in Saarbrücken.

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