Alle wollen fort – und bleiben

Berlin · In seinem Dokumentar-Theaterstück „Telemachos“ fragt der Schauspieler und Regisseur Prodromos Tsinikoris (32) sich und andere Immigranten: Zurückkehren oder in Deutschland bleiben? Am 28. Mai gastiert er in Saarbrücken. Wir trafen ihn in Berlin.

"Die Sonne strahlt mir aus den Ohren", sagt Prodromos Tsinikaris und kuschelt sich noch tiefer in seine dunkle Kapuzen-Sportjacke. Beruflich läuft gerade alles blendend. Tsinikaris hat am Vortag einen Vortrag beim "Internationalen Forum" des Berliner Theatertreffens gehalten, und das Doku-Drama "Telemachos. Should I stay or should I go", das er mit Anestis Azas für das Ballhaus Naunynstraße (Berlin) entwickelte, wurde zum "Auawirleben"-Festival in Bern eingeladen. "Das Stück ist Segen und Fluch", seufzt Tsinikoris und berichtet über sein Nomaden-Dasein, das längerfristige Pläne nicht zulasse: Seit zwei Jahren unterhalte er keine Wohnung mehr, lebe in Hotels und bei Freunden. "Ich genieße gerade den flexiblen europäischen Arbeitsmarkt", sagt er mit Spott in der Stimme. Man spürt Aufgewühltheit: "Wohin soll ich mich langfristig orientieren?" Athen, Berlin, Wuppertal, wo die Eltern leben? Diese Zerrissenheit sei nicht erst mit der Griechenland-Krise aufgetaucht, sagt Tsinikoris. Alle Immigranten, jüngere wie auch die der ersten Generation, trügen diese seelische Grunddisposition wie eine Gentätowierung mit sich herum. Insofern schürft "Should I stay" denn wohl auch tiefer als es die Griechenland-Krise vorgibt.

70 Immigranten wurden für die Produktion befragt. Die Interviews bescherten Tsinikoris ein eindeutiges Bild: "Alle, wirklich alle, wollen zurück nach Griechenland." Dies, obwohl sie der "Sirene" Deutschland verfallen sind wie einst Odysseus Circe. Der fuhr bekanntlich nach Ithaka zurück und warf mit Unterstützung seines Sohnes Telemachos die Freier und Vermögensverprasser aus dem Haus. Wie funktioniert die Rückeroberung Griechenlands heute? Gar nicht, hört man Tsinikoris zu: "Die Menschen im Land sind zermürbt, die Griechen sind ein gebrochenes Volk." Wirkt deshalb selbst ein erfolgreicher Mann wie Tsinikoris so gedämpft?

Das "Telemachos"-Stück verknüpft moderne Odyssee-Biografien mit Homers Epos. Nach der Riminiprotokoll-Methode kommen sieben der 70 Interviewten mit ihren eigenen authentischen Texten auf die Bühne. Nur einer hat eine Schauspielausbildung: Tsinikoris selbst, er spielt Telemachos. Seine Eltern - sie betreiben ein Lokal in Wuppertal - schickten ihn auf die Schauspielschule nach Athen. Und eigentlich, sagt er, würde er am liebsten nur dort, in seiner Muttersprache, Theater machen. Doch der griechische Staat habe - so Tsinikoris - alle Subventionen für freie Gruppen und Projekte gestoppt, und an den nur zwei Nationaltheatern (Athen, Saloniki) hätten progressive Regisseure keine Chance.

Trotzdem und immerhin konnten Tsinikoris/Azas schon zwei Reality-Projekte produzieren: "Die Bahnreise" (2011) über die Privatisierung der griechischen Eisenbahn und "Epidaurus" (2012), das die Veränderung einer Dorfgemeinschaft durch eine "Kulturinvasion" dokumentiert: das Epidaurus-Festival. Genau dort fing für Tsinikoris 2009 das Theaterleben mit einer prägenden Erfahrung an. Er spielte bei Dimiter Gottscheffs "Persern" als einer der Boten mit. Unter freiem Himmel, in einer 2400 Jahre alten Kulisse, vor 7000 Zuschauern. Es war dies eine typische "archaische" Arbeit des bulgarischen Theater-Zeitgeist-Verweigerers: sprachzentriert, statisch, formstreng. Gottscheff - Tsinikoris nennt ihn "Mitko" - starb 2013, gerade ehrte das Berliner Theatertreffen dessen Lebenswerk. Eine "kulturelle mentale Bruderschaft" sei ihr Band gewesen, sagt Tsinikoris und wird wieder nachdenklich. Auch Gottscheff habe in einem Zustand des Fremdseins in Deutschland gelebt, trotz aller Umarmungen.

Termine: 28. Mai (21 Uhr) und 29. Mai (18 Uhr), Osthalle am Römerkastell; ticket@festival-perspectives.de

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