Alexis Tsipras, Glücksspieler aus Athen

Athen · Der Mann steckt voller Widersprüche. Alexis Tsipras poltert gegen Europa, gibt aber zugleich den überzeugten Europäer. Der griechische Premier will Athen unbedingt in der Eurozone halten - und tut nach monatelangen Verhandlungen die Eckpunkte einer Einigung mit Griechenlands öffentlichen Gläubigern als "böse Überraschung" ab.

Mit solchen ambivalenten Botschaften bringt er nicht nur eingefleischte Gegner seines Syriza-Bündnisses auf die Palme.

Tsipras ist ein Hasardeur. Schon seinen Chefsessel bei Syriza verdankt er nicht seiner Qualifikation. Der 40-Jähige hat kaum gearbeitet und auffällig lange studiert - allerdings nur in Griechenland und nicht, wie die einheimische Polit-Elite, an Vorzeige-Unis in England, Frankreich oder den USA. Er spricht langsam, begnadeten Rhetorikern wie Ex-Premier Andreas Papandreou kann er nicht das Wasser reichen. Das nagt an ihm. Und sein Englisch? Nicht nur Griechen reißen über Tsipras' dürftige Fremdsprachenkenntnisse gern Witze.

Sein Ziehvater Alekos Alavanis hievte Tsipras wegen unerbittlicher Machtkämpfe mit innerparteilichen Kritikern auf den Chefposten. Als damals noch frisches Gesicht aus der Parteijugend sollte Tsipras ihm als Schutzschild vor internen Gegnern dienen. Doch der Neue verbündete sich ausgerechnet mit Alavanos' Kontrahenten - und ekelte den eigenen Ziehvater aus der Partei.

Die blieb zunächst auch unter der neuen Führung nur das, was sie seit ihrer Abspaltung von den stalinistisch-orthodoxen Kommunisten stets war: eine müde belächelte oder gar verspottete Kleinstpartei versprengter Salon-Bolschewisten. Nur der desaströsen Griechenland-Krise verdankt es Tsipras, dass er an die Macht katapultiert wurde - all seinen Unzulänglichkeiten zum Trotz. Für das Gros der Griechen war er bei seiner Wahl im Januar genau das, was er 2008 in seiner Partei war: ein neuer Mann zur richtigen Zeit. Nicht mehr.

Nun aber kann er nicht länger nur kritisieren, polemisieren, agitieren wie in der Opposition. Er muss regieren. Und als Premier wird Tsipras schon früh eine heikle Mischung aus Naivität, grober Fehleinschätzung der Realitäten in Europa und eklatanten Versäumnissen zum Verhängnis. Ein markantes Beispiel: Auch die linksradikale Syriza hat bis dato offenbar nicht das geringste Interesse, die beachtlichen Steuerprivilegien der rund 800 griechischen Reederfamilien auch nur ansatzweise anzutasten. Die 58 Steuerbefreiungen, die eigens für diese Superreichen geschaffen wurden, gelten weiter. Griechenlands Staatskasse gehen dadurch rund neun Milliarden Euro verloren - pro Jahr. Schlimmer noch: Die Regierung Tsipras gewährte den Reedern bereits neue Steuerbefreiungen.

Dem Premier fehlt derweil für seine vollmundigen Wahlversprechen schlicht das nötige Geld. Im Rekordtempo hat er sich in die politische Sackgasse manövriert - in Athen und Europa. Sein gebetsmühlenartig gepredigtes Dogma "Kein Bruch mit Europa, aber auch keine Unterwerfung" ist inzwischen pure Illusion. Das Problem: Tsipras hat das begriffen, zugeben will er es aber nicht. Sein verwirrendes Verhalten ist eher ein Zeichen der Schwäche, kein raffiniertes Kalkül. Der Premier kämpft ums politische Überleben - und glaubt doch fast trotzig an ein anderes Griechenland. Zugleich will er mit seinen Ideen Europa verzaubern, den Kontinent erobern. Tsipras sieht sich als Weltverbesserer. Er hat eine Vision. Nur keinen (greifbaren) Erfolg.

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