Abseits ausgetretener Pfade

Saarbrücken · Mit dem gefeierten Konzert der Deutschen Radio Philharmonie unter dem 91-jährigen polnischen Dirigenten Stanislaw Skrowaczewski sind die Musikfestspiele Saar am Samstag eröffnet worden. Als Solistin am Flügel überzeugte Ewa Kupiec.

 Dirigent Stanislaw Skrowaczewski bedankt sich bei Solistin Ewa Kupiec. Vorne links die Konzertmeisterin der Deutschen Radio Philharmonie Dora Bratchkova. Fotos: Oliver Dietze

Dirigent Stanislaw Skrowaczewski bedankt sich bei Solistin Ewa Kupiec. Vorne links die Konzertmeisterin der Deutschen Radio Philharmonie Dora Bratchkova. Fotos: Oliver Dietze

 Festspielleiter Bernhard Leonardy bei der Eröffnung.

Festspielleiter Bernhard Leonardy bei der Eröffnung.

Es war ein Ereignis ersten Ranges. Die Congresshalle rappelvoll, sogar die ungeliebten Plätze im Rang besetzt, manche Besucher hockten auf den Treppenstufen. Reden wurden gehalten: Der polnische Generalkonsul nannte es eine Ehre, dass seinem Land hier ein Festival gewidmet werde, und scherzte, Polen und das Saarland seien nur durch die Bundesrepublik getrennt. Bernhard Leonardy als neuer Festspielchef gab den Dank vor allem an die Sponsoren weiter und warb um weitere ("Unsere Taschen sind groß und leer"); schließlich sei Musik ein "Grundnahrungsmittel". Die Ministerpräsidentin erwähnte die Bedeutung des polnischen Papstes und Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc für den deutschen Mauerfall.

Das Konzert der Radio Philharmonie (DRP) mit ihrem Ersten Gastdirigenten Stanislaw Skrowaczewski begann mit düsterer Feierlichkeit: Skrowaczewskis "Passacaglia immaginaria" für Orchester stand auf dem Programm, 1997 sogar für den Pulitzer-Preis nominiert, und unüberhörbar der Schule von Skrowaczewskis Lehrerin in Paris, Nadia Boulanger, verpflichtet. Beim Hören wird deutlich, was der listige Titel vorgibt: Die alte Passacaglia-Form ist hier frei ausgelegt, und das "immaginaria" berechtigt zu bildhaften Vorstellungen, als blicke man in ständig wechselnder Perspektive auf ein frei schwebendes Gebilde, man erkennt die Versuche der Interpreten, sich von der strengen Form zu emanzipieren. Eine farbige und abwechslungsreiche Musik, Abbild des tragischen 20. Jahrhunderts.

Dann erlebte Chopins erstes Klavierkonzert mit Ewa Kupiec als Solistin eine Interpretation abseits ausgetretener Pfade. Schon die Einleitung, oft als eine Art Pflichtübung vor dem interessanteren Klaviersolo absolviert, wurde dank Skrowaczewski zum sinfonischen Drama, das die Pianistin dann poetisch weitererzählte. Und das im wörtlichen Sinne: Sie gestaltete den Klavierpart wie menschliche Sprache, jedes Wort, jede Silbe in Tonfall, Farbe und Artikulation ständig wechselnd. Der zweite Satz entwickelte sich mit tänzerischer Grazie wie eine Ballett-Improvisation, aber stets mit "tenue", also der stolzen Haltung, die Chopin so unverwechselbar macht. Und im Finale mit seinem überreichen Klavierpart hätte man sich beinahe für Sekunden die Orchesterbegleitung weggewünscht, so aufmerksam und klangschön die DRP auch begleitete. Als Zugabe gab es eine Chopin-Nocturne in geradezu schlafwandlerischer Versunkenheit.

Zum Schluss Lutoslawskis Konzert fur Orchester . Kein Wunder, dass das Fernsehen den reißerischen Anfang dieser vor Energie fast berstenden Musik einst zur Titelmusik des ZDF-Magazins wählte. Das Orchester realisierte die fantasievolle Partitur mit allen Farbnuancen und meisterte das insektenhafte Gewimmel des 2. Satzes als Virtuosenstück. Zugleich konnte man wieder einmal den nun 91-jährigen Maestro Skrowaczewski studieren, der das komplexe Werk so im Kopf hat, dass er kaum einen Blick in die Partitur zu werfen braucht. Unübersehbar ist freilich, dass diesem großen Musiker auch autokratische Züge zu eigen sind. Sein Schlag ist federnd präzis, doch klein und rasch ungeduldig; die Hände sind oft nur in Pulthöhe, was den Musikern das Verständnis erschwert. Doch als deswegen einmal eine Panne droht, rettet der Altmeister mit gewohnter Nonchalance durch vernehmliches Vorsingen der fehlenden Partie. Er ist eben die Galionsfigur der Polen-Festspiele, dieser musikalischen Reise in ein Land, das als einziges einen Pianisten zum Ministerpräsidenten wählte (Ignacy Paderewski) und seine Nationalhymne als Mazurka gestaltete - mit trotzigem Text: "Noch ist Polen nicht verloren", aber im heiteren Dreivierteltakt.

Nächstes Konzert: 10. März mit Star-Cellistin Sol Gabetta und den Münchner Philharmonikern, Congresshalle SB. (20 Uhr). Karten: www.musikfestspielesaar.de oder unter

Tel. (06 81) 97 61 00.

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