Abschied von der Gemeinschaft

Die EU steht bei der Türkei im Wort. Für jeden Flüchtling, der sich nach Griechenland abgesetzt hat und wieder zurückgebracht wurde, werde die Gemeinschaft einen Asylbewerber aufnehmen. Das war der Deal. Doch wer gehofft hatte, hinter dem Versprechen stecke so etwas wie ein Auflodern von Solidarität, sieht sich getäuscht. Auch gestern scheiterte der Versuch, sich auf bestimmte Quoten für einzelne EU-Staaten zu einigen. Um die ganze Unbegreiflichkeit dieses Streits zu erfassen, muss man sich vor Augen halten, dass es nicht um mehrere tausend Hilfesuchende pro Monat geht, sondern um 50, 60 oder höchstens 150 pro Land. Und zwar keine Wirtschaftsflüchtlinge , sondern vom Hochkommissariat für Flüchtlinge bereits überprüfte Menschen, die ein Recht auf Asyl haben. Nein, das ist nicht zu viel verlangt. Weder von den östlichen EU-Ländern, die jedes Jahr mehrere Milliarden Euro für ihre Entwicklung aus den Brüsseler Kassen bekommen, noch von denen, die zu den wirtschaftsstarken Säulen der Union gehören. Die Gemeinschaft droht wortbrüchig gegenüber Ankara zu werden. Dabei unterstellt sie sonst der Türkei, Abmachungen nicht einzuhalten.

Was nun folgt, ist die Fortsetzung des beschämenden Streits der vergangenen Monate. Das abgespeckte Quoten-System wird in Kraft gesetzt, getragen von den wenigen, die sich ihrer solidarischen Verantwortung nicht entziehen. Deutschland gehört dazu, Schweden auch, Österreich bis zur erlassenen Obergrenze, sogar Italien und Griechenland sind dabei. Die einen lehnen entweder Muslime ab, andere wollen am liebsten nur Facharbeiter oder junge Familien. Nicht Europa gibt hier ein erschreckendes Bild ab, sondern eine Reihe von Mitgliedstaaten, die sich mit ihrer egoistischen und nationalistischen Politik von den Werten dieser Gemeinschaft verabschieden. Sie werden, spätestens, wenn es wieder einmal um Fördermittel geht, zu spüren bekommen, dass man Solidarität nicht erst aufkündigen und dann wieder einfordern kann.

Der EU-Türkei-Deal ist keine Ideallösung. Aber er scheint, wenn man die Zuwanderungszahlen der vergangenen Tage ansieht, zu wirken. Positiv, weil die Zahl der Flüchtlinge über die Türkei zurückgeht. Negativ, weil der Ansturm auf das Mittelmeer andernorts wieder anschwillt. Wer in dieser Situation die Ankunftsstaaten Italien und Griechenland alleine lässt, hat in der EU nichts verloren.

Diese Erkenntnis ist bitter, aber sie beschreibt den Status quo dieser Union ehrlicher als geschwollene Reden bei Ratstagungen. Alle Versuche, die 28 Staaten auf eine Linie angesichts der größten Herausforderung dieser Union einzuschwören, sind bisher gescheitert. Das wird auch ein Mini-Konsens, den es in den nächsten Tagen wohl geben wird, nicht verdecken können.

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