Zum Passentzug im Migrationspaket Warum IS-Kämpfer Deutsche bleiben sollten

Düsseldorf · Der Ver­lust der Staats­an­ge­hö­rig­keit ist nichts gänz­lich Neu­es. Ar­ti­kel 16 des Grund­ge­set­zes legt zwar fest: „Die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit darf nicht ent­zo­gen wer­den.“ Doch heißt es wei­ter: „Der Ver­lust der Staats­an­ge­hö­rig­keit darf nur auf Grund ei­nes Ge­set­zes und ge­gen den Wil­len des Be­trof­fe­nen nur dann ein­tre­ten, wenn der Be­trof­fe­ne da­durch nicht staa­ten­los wird.“ Be­deu­tet: Ent­zug nein, Ver­lust ja.

Der for­ma­le Un­ter­schied zwi­schen „Ent­zug“ und „Ver­lust“, so  Ju­ris­ten, macht sich am Kri­te­ri­um der Be­ein­fluss­bar­keit fest. Ei­ne Per­son muss dem­nach be­ein­flus­sen kön­nen, ob ih­re Hand­lun­gen zum Ver­lust der Staats­an­ge­hö­rig­keit füh­ren kön­nen.

Der Pa­ra­graph, durch den heu­te schon Deut­sche ih­ren Pass ver­lie­ren kön­nen, steht im Staats­an­ge­hö­rig­keits­ge­setz: „Ein Deut­scher, der auf Grund frei­wil­li­ger Ver­pflich­tung (…) in die Streit­kräf­te (…) ei­nes aus­län­di­schen Staa­tes, des­sen Staats­an­ge­hö­rig­keit er be­sitzt, ein­tritt, ver­liert die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit.“ Be­reits jetzt sieht der Rechts­staat al­so vor, dass ein deut­scher Bür­ger – so er denn ei­ne zwei­te Na­tio­na­li­tät hat – sei­ne deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit ver­liert, wenn er sich ei­ner frem­den Ar­mee an­schließt.

In die­ses Ge­setz lässt sich die Mit­glied­schaft im IS nicht sub­su­mie­ren. Aber: Ähn­lich wie beim Ein­tritt in ei­ne frem­de Ar­mee, se­hen Po­li­ti­ker und Ju­ris­ten auch beim An­schluss an den IS ei­ne frei­wil­li­ge Ab­kehr von der Bun­des­re­pu­blik. Ei­ne Kampf­hand­lung für den IS sieht das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um als ei­nen „gra­vie­ren­den, den Ver­lust der deut­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit nach sich zie­hen­den Fall der Il­loya­li­tät“.

Be­trof­fen von die­ser Re­ge­lung wä­ren der­zeit „schät­zungs­wei­se Fall­zah­len im ein­stel­li­gen bis nied­ri­gen zwei­stel­li­gen Be­reich“, sagt ein Spre­cher des In­nen­mi­nis­te­ri­ums. Zwar gilt das Ge­setz nicht für die der­zeit im aus­län­di­schen Ge­wahr­sam be­find­li­chen IS-Kämp­fer, weil die Ein­be­zie­hung in der Ver­gan­gen­heit lie­gen­der Hand­lun­gen laut Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt il­le­gi­tim ist – die Be­trof­fe­nen müs­sen zum Zeit­punkt ih­res Han­delns wis­sen oder we­nigs­tens wis­sen kön­nen, dass sie mit ei­nem miss­bil­lig­ten Ver­hal­ten die Vor­aus­set­zun­gen für den Ver­lust der Staats­an­ge­hö­rig­keit schaf­fen. Doch aus­ge­hend da­von, dass sich die Zahl der deut­schen IS-Kämp­fer mit Dop­pel­pass bei In­kraft­tre­ten des Ge­set­zes nicht we­sent­lich än­dert, ist von drei bis 14 Men­schen aus­zu­ge­hen.

Im Ver­gleich zu die­ser Zahl ist das Si­gnal, das von dem Ge­set­zes­ent­wurf aus­geht, enorm. Denn de fac­to schafft er zwei Ka­te­go­ri­en von Deut­schen: je­ne, die deutsch sind, und de­ren Be­tei­li­gung an Ter­ror da­zu führt, dass sie im Sin­ne des Straf­ge­setz­bu­ches zur Re­chen­schaft ge­zo­gen wer­den, und je­ne, die zwar ei­gent­lich auch deutsch sind, aber de­nen ihr Deutsch­sein im sel­ben Fall ab­er­kannt wird. Zu En­de ge­dacht macht das Deut­sche mit Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund zu Bür­gern zwei­ter Klas­se. Zudem be­rührt der Ge­set­zes­ent­wurf die Ver­ant­wor­tung, die ein Rechts­staat für sei­ne Bür­ger trägt, auch wenn sie nicht mehr des­sen Ord­nung ach­ten. Deutsch­land muss sich fra­gen, wel­chen An­spruch es hat. Den, sei­ne Bür­ger, die sich in Deutsch­land ra­di­ka­li­sie­ren und dem IS an­schlie­ßen, nach den Re­geln des Rechts­staa­tes zur Re­chen­schaft zu zie­hen?

Ver­ant­wor­tung, die Deutsch­land auch des­halb über­neh­men könn­te, weil es den weit­aus leis­tungs­fä­hi­ge­ren Rechts­staat hat als bei­spiels­wei­se ein Land wie Af­gha­nis­tan. Und von den Her­kunfts­län­dern der hier le­ben­den Ge­fähr­der zu er­war­ten, dass sie ih­re Bür­ger zu­rück­neh­men, die ei­ge­nen Ter­ro­ris­ten aber ein­fach aus­zu­bür­gern, ent­behrt nicht ei­ner ge­wis­sen Frag­wür­dig­keit. Von ei­nem glo­ba­len Ge­sichts­punkt könn­te man gar von Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit re­den: Denn in­dem man sich durch Pas­sent­zug des Pro­blems ent­le­digt, ist das Pro­blem nicht weg – es ist nur nicht mehr in­ner­halb der ei­ge­nen Gren­zen, son­dern der ei­nes an­de­ren Staa­tes, et­wa Sy­ri­en.

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