Was Flüchtlinge wirklich können

Lebach · Sie sprechen kaum Deutsch. Ihre Zeugnisse sind irgendwo im Kriegsgebiet. So geht es vielen Flüchtlingen in der Landesaufnahmestelle Lebach. Deshalb ist es schwierig, ihre Fähigkeiten einzuschätzen. Ein neues Testverfahren zielt genau darauf ab.

 Die Syrer Mariam (links) und Moliham (Zweiter von links) sowie die anderen drei Teilnehmer hören konzentriert zu, während Projektbetreuer Reinhard Biehl die Aufgaben erläutert. Danach beginnt für die Asylbewerber der neue Kompetenz-Test. Foto: Ruppenthal

Die Syrer Mariam (links) und Moliham (Zweiter von links) sowie die anderen drei Teilnehmer hören konzentriert zu, während Projektbetreuer Reinhard Biehl die Aufgaben erläutert. Danach beginnt für die Asylbewerber der neue Kompetenz-Test. Foto: Ruppenthal

Foto: Ruppenthal

Sie sitzen fest in ihren Stühlen und lauschen gebannt den Anweisungen. Vier Männer und eine Frau: Bis auf einen Iraker stammen sie alle aus Syrien. Darunter Mariam, eine junge Chemikerin. Oder der syrische Ingenieur Moliham. "Welches Kästchen passt in das leere Feld?" Die Teilnehmer sind sich einig: "Das Kästchen ganz rechts!"

Was wie ein banales Ratespiel klingt, ist ein ausgeklügelter Test. Er soll in Zukunft helfen, die Talente von Asylbewerbern schon kurz nach der Ankunft zu erkennen. Der bundesweit einmalige Kompetenzfeststellungstest, der gestern in der Landesaufnahmestelle Lebach vorgestellt wurde, ist das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen Innen- und Wirtschaftsministerium, Bundesagentur für Arbeit (BA) und der gemeinnützigen SHS Foundation. Seit Mitte August wird das Verfahren erprobt. Bereits 24 Asylbewerber haben sich der zweieinhalbstündigen Prüfung unterzogen. Arabischsprachige Mitarbeiter der Arbeitsagentur begleiten die Teilnehmer und erläutern den Ablauf. Und der hat es in sich: Die Prüflinge lösen am Computer Mathematikaufgaben, knacken Logikrätsel unter Zeitdruck und stellen ihre Sprachkenntnisse unter Beweis. Die Inhalte sind entweder sprachfrei (Beispiel: Bilder zuordnen) oder sprachgebunden. Zur Auswahl stehen Deutsch, Persisch, Arabisch und Englisch. Ob kognitive Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale oder berufliche Interessen: Der Test soll ein Gesamtbild liefern. Was kann der Bewerber wirklich? Wo liegen seine Stärken? "Es ist ein zusätzliches Modul, das gewährleisten soll, dass kein Talent auf der Strecke bleibt", sagte gestern Wirtschafts-Staatssekretär Jürgen Barke (SPD ). Auch Langzeitarbeitslose könnten künftig von dem Test profitieren: "So schlagen wir mehrere Fliegen mit einer Klappe." BA-Vorstandsmitglied Raimund Becker nannte das Pilotprojekt "eine Riesenchance". Die Menschen, die nach Deutschland kommen, seien häufig sehr jung und motiviert. Doch es gebe stets zwei große Hürden: die Sprache und die Zeugnisse und Zertifikate. Letztere seien entweder nicht vorhanden oder nicht mit dem deutschen System vergleichbar. "Wir Deutsche sind zertifikatsverliebt", sagt Becker. Mit dem neuen Test wolle man hier ein stückweit umdenken. "Es geht darum, Kompetenzen festzustellen. Wir versuchen herauszufinden, was die Menschen tatsächlich gemacht haben." Bisher seien die Behörden nämlich weitestgehend auf die Selbstauskunft der Geflüchteten angewiesen.

Nach dem Test werden die Daten von der Agentur für Arbeit erfasst und bilden die Grundlage für eine künftige Jobvermittlung. Diese soll dadurch beschleunigt werden.

Ob sie an dem Test teilnehmen oder nicht, können die Asylbewerber selbst entscheiden. Doch Saar-Innenminister Klaus Bouillon (CDU ) ist zuversichtlich, dass das Projekt Anklang findet: "Die Syrer sind lernwillig."

Vom Erfolg des Konzepts ist auch Peter Hartz überzeugt. "Jeder Mensch hat Talente", sagte der Gründer der SHS Foundation und betonte, dass der Test für jedermann geeignet sei, "ganz gleich, welche Ausbildung oder Kultur jemand hat".

Das Pilotprojekt könnte in Zukunft auch Einfluss darauf haben, wie die Asylbewerber auf die Kommunen verteilt werden. "Es macht keinen Sinn, Landwirte in die Stadt zu schicken", sagte Barke. Die Testergebnisse könnten helfen, Flüchtlinge künftig dorthin zu vermitteln, wo ihre Kompetenzen gebraucht werden.

Das erhofft sich auch Teilnehmerin Mariam. Die junge Chemikerin aus Syrien will nach anderthalb Jahren in Deutschland endlich eine Stelle finden. Dass sie den neuen Test durchlaufen kann, gibt ihr Hoffnung: "Ich bin sehr froh, dass wir diese Chance nutzen können."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort