„Ein Grexit ist eher unrealistisch“

Trotz Dauerkrise in Griechenland hält der Forschungsdirektor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) einen Euro-Austritt Athens für unwahrscheinlich. Die Nachteile für das Land würden überwiegen.

 Griechenland wird seit Jahren von der EU und dem IWF mit Krediten gestützt. Zeitweise war auch ein Austritt des Landes aus der Gemeinschaftswährung Euro im Gespräch. Foto: dpa

Griechenland wird seit Jahren von der EU und dem IWF mit Krediten gestützt. Zeitweise war auch ein Austritt des Landes aus der Gemeinschaftswährung Euro im Gespräch. Foto: dpa

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Herr Kritikos, Sie besuchen regelmäßig Griechenland, haben familiäre Wurzeln dort. Hat sich seit dem mittlerweile schon dritten EU-Hilfspaket etwas zum Besseren gewandelt?

Kritikos: Aus Sicht der Gläubiger hat sich einiges verbessert. Immerhin häuft Griechenland keine weiteren Schulden mehr an. Es erwirtschaftet Überschüsse, wenn man die Zinszahlungen ausklammert. Das gelang durch eine starke Senkung der Staatsausgaben. Auch kann Griechenland zumindest wieder kurzfristige Anleihen am Kapitalmarkt platzieren. Aus Sicht der Bevölkerung sind die letzten zehn Jahre allerdings ein Desaster. Die Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts um 30 Prozent hat tiefe Spuren hinterlassen.

Was läuft da konkret schief?

Kritikos: Wenn man permanent Steuern erhöht, dann leiden nicht nur die Bürger, sondern auch die Wirtschaft. Immer mehr Unternehmen verlassen Griechenland und wandern in die Nachbarstaaten. Der Herausforderung, bestehende Steuern zu einem höheren Grad einzutreiben, hat sich die griechische Regierung zu wenig gestellt. Dabei wäre das der bessere Weg als laufend Steuern zu erhöhen.

In den vergangenen Tagen und Wochen ist die Angst vor einem Grexit, also einem Euro-Austritt Athens, wieder gestiegen. Wie realistisch ist ein solches Szenario?

Kritikos: Ich halte das für eher unrealistisch. In Griechenland würden die Nachteile die Vorteile bei Weitem überwiegen, auch wenn einige Politiker wieder nach der Drachme schielen. Aber auch für die Gläubiger gilt: Griechenland könnte die Schulden dann erst recht nicht abtragen. Denn wir müssten mit Inflationsraten von 20 bis 30 Prozent rechnen, wenn sich der griechische Staat wieder über die Druckerpresse finanziert. In diesem Klima würde auch keiner mehr in Griechenland investieren. Gleichzeitig würden die Schulden in der neuen Währung weiter steigen, sobald die Währung abwertet.

Aber ein Schuldenstand von 180 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist für Griechenland ohnehin kaum tragbar, auch wenn es den Euro behält. Was halten Sie von einem Schuldenschnitt?

Kritikos: Wir haben es längst mit einer Entschuldung Griechenlands zu tun, indem die Rückzahlungsfristen enorm gestreckt und Zinszahlungen reduziert wurden. Das kommt in der öffentlichen Debatte viel zu kurz. Gleichzeitig könnte Griechenland aktiver zu den Reformen gedrängt werden, die bislang ausgeblieben sind - Schuldenstreckung gegen Bürokratieabbau.

Derzeit pokert man in Brüssel und Athen über eine Fortsetzung des dritten Hilfsprogramms. Was, wenn die Zahlungen gestoppt würden?

Kritikos: Dann drohen Griechenland im Sommer Zahlungsprobleme. Das bedeutet zum Beispiel keine Renten und keine Löhne für Staatsbedienstete. Allerdings müssten auch die Gläubiger um ihre Kredite fürchten. Insofern sitzen alle Beteiligten in einem Boot.

Die laufenden Milliarden-Hilfen sind noch bis Sommer 2018 vorgesehen. Wie könnte es danach weiter gehen - etwa mit einem vierten Hilfspaket?

Kritikos: Ich fürchte, das kann man nicht ausschließen. Viel hängt davon ab, welche Regierung dann in Athen am Steuer ist und welche Reformen bis dahin in Griechenland auf den Weg gebracht werden.

 DIW-Forschungsdirektor Alexander Kritikos Foto: DIW

DIW-Forschungsdirektor Alexander Kritikos Foto: DIW

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Die Fragen stellte Stefan Vetter

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