Vorwürfe gegen Versicherer

Berlin · Kunden können sich einer Studie zufolge auf Versicherungen gegen Berufsunfähigkeit nicht verlassen.

 Dachdecker leben gefährlich. Sie müssen daher besonders viel für eine Berufsunfähigkeitsversicherung bezahlen. Foto: Reichel/dpa

Dachdecker leben gefährlich. Sie müssen daher besonders viel für eine Berufsunfähigkeitsversicherung bezahlen. Foto: Reichel/dpa

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Sie ist für den Notfall gedacht: wenn der Rücken chronisch schmerzt oder die Hand dauerhaft geschädigt ist. Ein Viertel aller Deutschen hat eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Sie soll den Lebensunterhalt absichern, wenn man seinen erlernten Beruf nach einer Verletzung oder Krankheit nicht mehr ausüben kann. Doch ob die Versicherung tatsächlich zahlt, können weder Kunden noch Vermittler vorab einschätzen, so das Ergebnis einer Studie zu Berufsunfähigkeitsversicherungen.

Wie häufig Versicherte einen Schadensfall anerkannt bekommen, schwankt der Studie zufolge extrem: Einige Versicherungen lehnten jeden siebten Antrag auf Berufsunfähigkeit ab, andere dagegen jeden zweiten. Grund sind der Studie zufolge mehrere hundert schwammige Begriffe in den Verträgen der Versicherer, die für jeden Fall eine Ablehnung möglich machen. Die Bürger seien deshalb "faktisch orientierungslos", sagt Claus-Dieter Gorr, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Premium Circle Deutschland.

Die Vermittler solcher Versicherungen würden Interpretationen verkaufen, von denen sie nicht wissen könnten, ob sie eingehalten würden. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung sei deshalb nicht mehr als eine Option, die Versicherung zu verklagen, kritisiert Gorr. Wer eine Versicherung abschließe, solle sich gleich einen guten Anwalt mit dazu suchen.

Für die Studie befragte der Dienstleister Premium Circle im vergangenen Herbst 62 Versicherungen. 15 Konzerne lieferten Daten für das Jahr 2014, darunter die HDI, die Targo und die Signal/Iduna. Unternehmen wie die Allianz, Ergo und HUK lehnten eine Teilnahme an der Studie ab.

Zwischen einem und sieben Monaten brauchen Versicherer demnach im Schnitt, um einen Antrag zu entscheiden. Auch bei einer Klage gegen die Versicherung unterscheiden sich die Konzerne erheblich. Einige Versicherer gewinnen alle Klagen, andere verlieren in mehr als 80 Prozent vor Gericht. Sie lassen es offenbar auf eine Klage ankommen, anstatt schnell zu zahlen. "Die richtige Versicherung zur Berufsunfähigkeit abzuschließen, gleicht einem Würfelspiel", sagt Claus Dieter Gorr.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft veröffentlicht selbst nur Mittelwerte all seiner Mitgliedsunternehmen. Die Unterschiede zwischen einzelnen Versicherern bezeichnet Pressesprecher Christian Ponzel als "nicht aussagekräftig".

Grund für die großen Unterschiede ist Gorr zufolge, dass die Versicherer zu große Spielräume in ihren Verträgen hätten. 321 unbestimmte Begriffe finden sich laut der Analyse in den Bedingungen der Versicherer. "Bei Vertragsabschluss lässt sich nicht erkennen, was eine Versicherung abdeckt," sagt Gorr. Die Verträge seien schwammig formuliert. Die Versicherer wehren sich gegen die Kritik. "Diese Argumentation ist abwegig", sagt Peter Schwark, der beim Gesamtverband der Versicherungswirtschaft für die Altersvorsorge zuständig ist. Die Versicherer müssten solche "unbestimmten" Begriffe verwenden, weil Berufsunfähigkeitsversicherungen auch in 30 Jahren noch Bestand haben müssen. "Versicherungen nutzen solche Dinge nicht willkürlich, um Kunden auflaufen zu lassen." Schwark wirft Premium Circle vor, eigene finanzielle Interessen zu haben und nur deshalb eine solche Studie zu veröffentlichen, um einen Markt für seine Beratungsleistungen zu schaffen.

Unterstützung bekommt Gorr von Rechtsanwalt Joachim Laux, dessen Berliner Kanzlei sich darauf spezialisiert hat, Verbraucher bei Klagen gegen Versicherer zu unterstützen. Die Kanzlei macht nach eigenen Angaben täglich die Erfahrung, "dass sich Berufsunfähigkeits-Versicherer sowohl bei Abschluss von Versicherungen als auch im Leistungsfall grundsätzlich sehr höflich, in der Sache aber intransparent, ausforschend und hinhaltend, im Ergebnis also unangemessen verhalten".

Bis ins Jahr 2000 war die Berufsunfähigkeitsversicherung noch staatlich organisiert, erst danach wurde sie unter der rot-grünen Bundesregierung privatisiert. "Die Privatisierung zeigt besonders eindringlich, dass die private Absicherung existenzieller Risiken in der Regel auf Kosten der Versicherten geschieht", schreibt Sabine Zimmermann, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei.

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