Noch ein Nackenschlag für den Diesel

Berlin · Auch Euro-6-Autos sind einer Studie zufolge Dreckschleudern. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks fordert eine Nachrüstung der Wagen durch die Hersteller. Die Autobesitzer sollen dafür nichts zahlen müssen.

 Aus dem Auspuff auch der neuesten Diesel-Autos kommt zu viel gefährliches Stickstoffdioxid. Das hat das Umweltbundesamt gemessen. Foto: dpa

Aus dem Auspuff auch der neuesten Diesel-Autos kommt zu viel gefährliches Stickstoffdioxid. Das hat das Umweltbundesamt gemessen. Foto: dpa

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Seit Diesel-Fahrzeuge durch die VW-Affäre in Verruf geraten sind, werden sie kritischer unter die Lupe genommen. Eine aktuelle Untersuchung des Umweltbundesamtes bestätigte nun, was zuvor schon Umweltgruppen ermittelt hatten: Selbst die modernsten Euro-6-Dieselmotoren stoßen sechs Mal so viel von dem schädlichen Stickoxid aus wie erlaubt. Und zwar fast alle Fabrikate.

Für das Umweltministerium hatte die Dessauer Behörde jeweils zwei Dutzend Pkw der Klassen Euro 4, 5 und 6 getestet. Aber diesmal nicht nur auf genormten Rollenprüfständen. Es wurde auch die Umgebungstemperatur verändert, und zudem wurden Messungen im realen Straßenbetrieb durchgeführt. Ergebnis: Die neueren Euro-6-Diesel, die offiziell nur 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer ausstoßen dürfen, kommen im Mittel auf 507 Milligramm, das Sechsfache. Bei den älteren Euro-5-Autos liegt der Grenzwert mit 180 Milligramm deutlich höher. Doch selbst der wird mit real 906 Milligramm um den Faktor Fünf überschritten. Alte Euro-4-Diesel stoßen statt 250 Milligramm in Wirklichkeit 674 Milligramm aus. Insgesamt ist der Stickoxid-Ausstoß der deutschen Diesel-Flotte demnach um rund ein Drittel höher als bislang offiziell angenommen. Stickstoffdioxid reizt die Atemwege, kann zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen und vor allem Kindern schaden. An mehr als der Hälfte der Messstellen in Deutschland werden die Grenzwerte im Jahresmittel schon überschritten - jetzt weiß man genauer, warum.

Die höheren Werte ergeben sich, wenn bei niedrigen Außentemperaturen gemessen wird. Bisher wurde der Ausstoß im Zulassungsverfahren nur bei rund 20 Grad ermittelt, und das unter Laborbedingungen auf dem Rollenprüfstand. Ist es jedoch kälter - und das ist in Deutschland mit einer Durchschnittstemperatur von rund zehn Grad häufig der Fall - steigen die Werte enorm an. Grund: Die Abgasnachbehandlungsanlagen laufen im niedrigen Temperaturbereich gar nicht mehr oder nur reduziert, um Sprit zu sparen.

Laut Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) liegt das Problem vor allem im Altbestand von rund sechs Millionen Euro-5-Dieseln und drei Millionen Euro-6-Fahrzeugen. Hendricks forderte ihren Kabinettskollegen, Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), auf, die Industrie in die Pflicht zu nehmen. Sie müsse auf eigene Kosten für eine Nachrüstung aller Fahrzeuge sorgen. Teilweise könnten auch Software-Korrekturen helfen. "Öffentliche Zuschüsse sind dafür nicht notwendig." Die Ministerin beließ es bei diesem Appell. "Fahrverbote wären das Mittel der Wahl, wenn es anders nicht gehen würde. Es geht aber anders", sagte sie. "Alle Vorschläge, die ich unterbreitet habe, um den Kommunen Lösungswege an die Hand zu geben, wurden abgelehnt", sagte Hendricks mit Blick auf eine "Blaue Plakette" für relativ saubere Autos. Nun müsse Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) die Industrie stärker in die Pflicht nehmen. Vom Verkehrsministerium war eine Stellungnahme zunächst nicht zu erhalte n.

Ab Herbst entspannt sich die Situation wenigstens bei Neufahrzeugen. Diese müssen dann nach EU-Vorgabe schon bei der Typenzulassung Messungen unter Echtbedingungen bestehen ("Real Driving Emissions", RDE), wobei sie bis 2020 den auf Rollenprüfständen geltenden Grenzwert von 80 Milligramm Stickoxid noch um den Faktor 2,1, später um den Faktor 1,5 überschreiten dürfen.

 Bundesumweltministerin Barbara Hendricks Foto: dpa

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks Foto: dpa

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Der Verband der Automobilindustrie (VDA) begrüßt die beschlossenen Reformen der Abgas-Messung, hält Nachrüstungen, wie sie Hendricks fordert, aber für schwer möglich: "Aus wirtschaftlicher Sicht lässt sich eine Nachrüstung auf Euro 6 kaum darstellen." Hersteller prüften derzeit, wie eine Verbesserung bei den Emissionen von Euro-5-Autos in der Stadt zu erreichen sei. Zudem erinnert die Branche an den Grund, aus dem Diesel lange als sauberer galten als Benziner: "Er verbraucht bis zu 25 Prozent weniger Kraftstoff als ein Benziner, und sein CO{-2}-Ausstoß ist 15 Prozent niedriger." Damit seien Diesel für den Klimaschutz unverzichtbar.

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