Karlsruhe sagt „Ja, aber“ zu Ceta

Die knapp 200 000 Bürger haben es nicht geschafft. Ihr Ziel, das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta in letzter Minute zu stoppen, haben sie verfehlt. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Eilanträge gegen eine Zustimmung Deutschlands zu Ceta abgelehnt. Damit kann das Abkommen wie geplant am 27. Oktober auf dem EU-Kanada-Gipfel unterzeichnet werden. Doch die Bundesregierung hat keineswegs freie Bahn. Denn die Richter verhängten Auflagen. Die Regierung muss unter anderem sicherstellen, dass Deutschland im Zweifel aus dem Abkommen wieder herauskommt.

So wundert es nicht, dass Befürworter wie Gegner sich zufrieden zeigen. "Wir sind erleichtert", sagte Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Er sieht den Weg nun frei für eine Zustimmung Deutschlands für Ceta. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln wertete die Karlsruher Entscheidung als "wichtiges Signal auch dafür, dass die Sorgen der Freihandelskritiker überzogen oder unbegründet" seien. "Ich glaube, dass wir mit allen guten Argumenten das Verfassungsgericht überzeugen konnten", sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD ). Er hatte in der Verhandlung am Mittwoch eindringlich vor einem Ceta-Stopp und dem daraus folgenden gigantischen Schaden gewarnt. Mit dem Urteil sei für Ceta ein "großer Schritt" gemacht. Es gehe bei dem Abkommen darum, der Globalisierung endlich Regeln zu geben. Zugleich kündigte Gabriel an, die Auflagen des Gerichts einzulösen.

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht zweifelte daran, dass ihm dies gelingen wird. "Ich bin gespannt, wie die Bundesregierung es schaffen will, diese Auflagen zu erfüllen", sagte sie. Die Linksfraktion im Bundestag zählt zu den Klägern, die das Freihandelsabkommen in Karlsruhe verhindern wollten. Daneben mobilisierten die Verbraucherorganisation Foodwatch sowie die Vereine Campact und Mehr Demokratie mehr als Zigtausende Mitkläger gegen Ceta. Foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode nannte das Urteil einen "Riesenerfolg". "Es erfüllt mich mit großer Genugtuung, dass all die Punkte, die wir jahrelang diskutiert haben, die einfach abgetan wurden, dass die heute ernsthaft besprochen werden", sagte er. Jörg Haas von Compact bezeichnete das Urteil als "Ohrfeige für die Bundesregierung".

Über die Erfolgsaussichten der mit den Eilanträgen verbundenen Verfassungsbeschwerden sagt das "Ja, aber"-Urteil noch nichts. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Ceta verfassungswidrige Bestimmungen enthalte, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle . Darüber will das Gericht später im Detail verhandeln. Ein Stopp von Ceta ist also immer noch möglich. Im Eilverfahren hatten die Richter nur zu prüfen, ob in der Zwischenzeit nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen (Az. 2 BvR 1368/16 u.a.). Dabei stuften sie die Risiken durch ein Nein zu Ceta als weit schwerwiegender ein - "weniger auf wirtschaftlichem als vielmehr auf politischem Gebiet", wie Voßkuhle sagte. Eine deutsche Blockade würde demnach nicht nur die Außenhandelsbeziehungen zwischen der EU und Kanada beeinträchtigen. Auf dem Spiel stehe die internationale Verlässlichkeit Deutschlands und Europas insgesamt.

Das Urteil verpflichtet die Bundesregierung nun, nur für eine vorläufige Anwendung derjenigen Teile des Abkommens zu stimmen, für die zweifellos die EU zuständig ist. Ausgenommen sein müssen alle Bereiche, die in die Kompetenz Deutschlands fallen. Dabei geht es etwa um das umstrittene Investitionsschutzgericht und den Arbeitsschutz.

Eine weitere Bedingung betrifft den sogenannten Gemischten Ceta-Ausschuss. Das Abkommen soll nämlich gewissermaßen leben. Der Ausschuss soll den Vertrag ändern können. Die Kläger kritisieren, dass die EU-Staaten nicht in diesem Gremium vertreten sind. Bis zu einem endgültigen Urteil muss die Bundesregierung deshalb dafür geradestehen, dass alle Beschlüsse des Ausschusses "hinreichend demokratisch" rückgebunden werden. Dafür könnte sie beispielsweise vereinbaren, dass Grundlage aller Beschlüsse ein gemeinsamer Standpunkt ist, den die EU-Minister einstimmig treffen.

Lassen sich diese Punkte nicht gewährleisten, muss Deutschland notfalls die vorläufige Anwendung von Ceta beenden. Ob der ausgehandelte Vertrag das überhaupt hergibt, ist umstritten. Gabriel hatte diese Möglichkeit jedoch in der Verhandlung am Mittwoch zugesichert. Nun muss er dieses Verständnis "in völkerrechtlich erheblicher Weise" erklären, gaben die Richter vor.

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 Andreas Voßkuhle (Mitte), Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hält es nicht für ausgeschlossen, dass Ceta verfassungswidrige Bestimmungen enthält. Foto: Deck/dpa

Andreas Voßkuhle (Mitte), Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hält es nicht für ausgeschlossen, dass Ceta verfassungswidrige Bestimmungen enthält. Foto: Deck/dpa

Foto: Deck/dpa

Hintergrund Mit dem angestrebten Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta) geht es folgendermaßen weiter: 18. Oktober: Bei einem EU-Ministertreffen soll auf europäischer Seite endgültig grünes Licht für das Abkommen gegeben werden. Dafür sind mehrere Beschlüsse vorbereitet. Einer von ihnen regelt zum Beispiel, welche Teile des Abkommens vor der Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten vorläufig angewendet werden dürfen. 27. Oktober: Mit der Unterzeichnung des Abkommens könnten die Verhandlungen zwischen der EU und Kanada enden. Geplant ist dazu ein EU-Kanada-Gipfel in Brüssel. Nach dem 27. Oktober: Start des Ratifizierungsprozesses. Ceta kann erst vollständig in Kraft treten, wenn die nationalen Parlamente zugestimmt haben. Das Verfahren dürfte mindestens ein Jahr dauern. Dezember/Januar: Abstimmung im EU-Parlament. Bei einem Ja kann Ceta in großen Teilen vorläufig angewendet werden. Nur diejenigen Teile, die nicht in alleiniger EU-Kompetenz liegen, sind ausgenommen. Ein Beispiel sind Regelungen zu Streitigkeiten zwischen Staaten und Firmen. dpa

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