„Wir brauchen einen Kurswechsel“

Nach zwei Jahren Mindestlohn sind die Kontrollen immer noch viel zu lasch, kritisiert DGB-Chef Reiner Hoffmann. Und beim Thema Rente will man der Bundesregierung auch 2017 kräftig einheizen. Mit dem obersten Gewerkschafter Deutschlands sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter:

 Hoffmann geht davon aus, dass beim Mindestlohn noch einmal nachgebessert werden muss. Foto: dpa

Hoffmann geht davon aus, dass beim Mindestlohn noch einmal nachgebessert werden muss. Foto: dpa

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Herr Hoffmann, die Bundesregierung will die Betriebsrente stärken und Erwerbsgeminderte im Alter besserstellen. Warum hadert der DGB trotzdem mit der schwarz-roten Rentenpolitik?

Hoffmann: Weil wir einen grundlegenden Kurswechsel brauchen. Es kann doch nicht sein, dass das Rentenniveau weiter sinkt und die Beiträge steigen. Das kann man keinem Menschen vermitteln.

Aber eine allgemeine Anhebung des Rentenniveaus bedeutet noch viel höhere Beiträge. Ist es da nicht besser, sich zielgerichtet um die wirklich Bedürftigen zu kümmern?

Hoffmann: Wir müssen auch auf die Leistung gucken, die am Ende steht. Wer erwerbsgemindert ist oder häufig arbeitslos war, muss im Alter trotzdem eine ordentliche Rente haben. Die Menschen müssen aber auch die Sicherheit haben, nach 45 Jahren harter Arbeit eine Rente zu bekommen, von der sie ordentlich leben können. Deshalb fordert der DGB in einem ersten Schritt eine Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent des Durchschnittslohns und in einem weiteren Schritt eine Anhebung, auf etwa 50 Prozent. Dafür werden wir uns auch im kommenden Wahljahr mit unserer Kampagne einsetzen.

Am 1. Januar wird der Mindestlohn zwei Jahre alt. Dafür müssten Sie der Bundesregierung aber nun wirklich dankbar sein.

Hoffmann: Stopp, die Bundesregierung sollte uns dankbar sein. Die Gewerkschaften haben zehn Jahre lang für den gesetzlichen Mindestlohn gekämpft, bevor ihn sich eine Regierung zu eigen gemacht hat. Allerdings gibt es noch genügend Nachbesserungsbedarf.

Soll heißen?

Hoffmann: Die Ausnahmen für Jugendliche und Langzeitarbeitslose beim Mindestlohn haben sich überhaupt nicht bewährt. Kein Mensch, der länger als ein halbes Jahr arbeitslos war, ist deshalb wieder in Beschäftigung gekommen. Solche Regelungen gehören abgeschafft. Wir erleben auch, dass viele Unternehmen die Bezahlung nach Mindestlohn trickreich unterlaufen. Deshalb brauchen wir endlich wirksame Kontrollen, um den schwarzen Schafen das Handwerk zu legen.

Woran hapert es genau?

Hoffmann: Bei der zuständigen Zollverwaltung sollen zusätzlich 1600 Kontrolleure eingestellt werden. Das ist viel zu schleppend angelaufen, weil im ersten Jahr viele der frisch ausgebildeten Kontrolleure im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingesetzt wurden. So lange es keine wirksamen Kontrollen gibt, ist der Mindestlohn vielerorts ein Papiertiger.

Wie zufrieden sind Sie mit der Amtszeit von Angela Merkel?

Hoffmann: Die Bilanz fällt gemischt aus. In der Sozialpolitik konnten die Gewerkschaften sicher Punkte machen. Das größte Problem sehe sich derzeit allerdings in einer völlig verfehlten Europapolitik, die mit ihrem rigorosen Sparkurs nicht dazu beiträgt, den alten Kontinent insgesamt wieder auf Wachstumskurs zu bringen.

Die Mitgliederzahlen in den DGB-Gewerkschaften sind insgesamt weiter rückläufig. Gleichzeitig können kleine Organisationen wie die Pilotenvereinigung Cockpit mit Streikaufrufen eine halbe Branche lahmlegen. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Hoffmann: Wir verlieren Mitglieder, aber wir gewinnen auch täglich rund 900 Menschen. Daher ist in diesem Jahr die Lage weitgehend stabil. Aber das kann uns natürlich nicht zufriedenstellen. Denn mit rund 33 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten gibt es so viele potenzielle Mitglieder wie noch nie. Kleinere Gewerkschaften , die nicht zum DGB gehören, gewinnen allerdings auch nicht dazu, im Gegenteil. Darunter sind Verbände wie Cockpit oder die Lokführergewerkschaft GDL , die sehr spezifische Interessen gegen das Allgemeininteresse der Arbeitnehmer durchsetzen wollen oder wollten.

Und was folgt daraus für Sie?

Hoffmann: Mit solidarischer Tarifpolitik hat das nichts zu tun. Diese Konkurrenz ist nicht gesund. Ein wirksames Mittel dagegen wäre, wenn Arbeitgeber keine Tarifflucht mehr begingen und wieder einem Arbeitgeberverband angehören würden. Die DGB-Gewerkschaften haben immer klar gemacht, dass Einheitsgewerkschaften eine Garantie dafür sind, sich für die Gesamtheit der Arbeitnehmerschaft einzusetzen und nicht für partikulare Berufsinteressen. Das ist ein Spaltpilz, der die Konkurrenz unter den Arbeitnehmern erhöht.

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