Wenn die Angst vor dem Schreiben groß ist

Saarbrücken · Die Volkshochschulen im Saarland wollen mit einem neuen Angebot Berufstätigen helfen, Schreib- und Leseschwächen zu beseitigen. Dafür gibt die EU 1,5 Millionen Euro, weitere 1,5 Millionen Euro das Saar-Bildungsministerium.

. Einen Text aus mehreren Sätzen lesen und seinen Inhalt verstehen - für Millionen Menschen in Deutschland stellt das eine unlösbare Aufgabe dar. Knapp fünf Millionen Beschäftigte können zwar Wörter und einzelne einfache Sätze lesen, ihren Sinn aber nicht erfassen. Sie sind sogenannte "funktionale Analphabeten". "Wir können nach aktuellen Erhebungen davon ausgehen, dass im Saarland mehr als 50 000 Arbeitnehmer betroffen sind", sagt Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD ).

Sowohl für die Arbeitnehmer wie auch für die Unternehmen ist diese weitverbreitete Form der Schreib-Leseschwäche ein großes Problem. Wer Texte nicht gut lesen kann, kann sich nicht weiterbilden und bleibt so bei der beruflichen Entwicklung auf der Strecke. Auch wird es deutlich schwieriger, bei der Umstellung auf neue Technik Schritt zu halten.

Ernstes Handicap

Auch die Schreibschwäche ist ein ernst zu nehmendes Handicap. Denn mit der zunehmenden Digitalisierung müssen Mitarbeiter immer häufiger mit PCs arbeiten oder auch Berichte über ihre Arbeit verfassen. Vier Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland sind nicht in der Lage, Sätze zu lesen oder zu schreiben, hat die bundesweite "Leo-Studie" zur Lesekompetenz Erwachsener ergeben, die die Universität Hamburg im Jahr 2010 erstmals veröffentlicht hat. Demnach können 14 Prozent zwar Sätze schreiben, aber keine zusammenhängenden Texte.

"Arbeitnehmer , die nicht Lesen und Schreiben können, stecken in einer beruflichen Sackgasse", sagt Frédéric Chomard. Er ist der Projektbetreuer des Programms "Kompetenz. Lernen. Arbeit." (Klar), das der Verband der Volkshochschulen im Saarland im Auftrag der Landesregierung auf den Weg gebracht hat und federführend koordiniert. Das Projektziel: Betroffene finden, auf das Problem aufmerksam machen und anschließend in speziellen Kursen die Schwächen beheben.

Insgesamt 1,5 Millionen Euro stehen an EU-Geldern für das Projekt Klar zur Verfügung. Weitere 1,5 Millionen Euro stellt das saarländische Bildungsministerium zur Verfügung. Zielgruppe sind dabei nicht nur Arbeitnehmer kleiner und mittelgroßer Unternehmen, sondern auch Berufsschüler, die beim Schreiben und Lesen noch Schwächen haben.

Das Projekt, das auf insgesamt sechs Jahre angelegt ist und bis zum Jahr 2020 läuft, ist laut Chomard noch in der Anfangsphase: "Aktuell sind wir dabei, Betroffene zu finden und für die Sprachkurse zu gewinnen." Das nehme deutlich mehr Zeit in Anspruch, als eigentlich geplant war. Seit rund einem Jahr ist Chomard mit seinem Team aktiv, gestaltet Plakate und Info-Broschüren, spricht mit Unternehmen, Kammern, Berufsverbänden und Berufsschulen.

Gerade weil Schreib- und Leseschwächen - anders als Mathematik-Schwächen - als Makel gelten, würden sich die Betroffenen nicht aus der Deckung wagen. Dabei betont Chomard, dass den Teilnehmern natürlich Anonymität zugesagt wird. "Auch die Unternehmen müssen wir überzeugen. Letztlich muss das Personalmanagement verstehen, dass Alphabetisierung Teil der Unternehmensentwicklung ist." Wirtschaftsministerin Rehlinger hat in diesem Zusammenhang angekündigt, bei ihren Unternehmensbesuchen künftig verstärkt auf das Angebot aufmerksam zu machen.

Bisher reichen die Teilnehmerzahlen noch nicht für die ersten Sprachkurse , doch Chomard ist optimistisch, dass bis zum Sommer die ersten Kurse an den Start gehen können. Diese sollen dann von Lehrern der Projektpartner veranstaltet werden - neben den Volkshochschulen sind auch noch die Katholische Erwachsenenbildung Saar und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit seinem Verein "Arbeit und Leben" beteiligt. Auch der Ort der Kurse sei noch offen - die zehn saarländischen Grundbildungszentren stünden dafür zur Verfügung, sagt Chomard. Auf Wunsch könnten die Kurse aber auch direkt in den Unternehmen stattfinden, versichert er.

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HintergrundViele Menschen leiden laut Leo-Studie der Uni Hamburg unter Lese- und Rechtschreibschwäche. Bei Bauhilfsarbeitern trifft es 56 Prozent, bei Hilfskräften und Reinigungspersonal zwei von fünf, die Texte nicht verstehen oder wiedergeben können. Im Transportgewerbe ist jeder Dritte betroffen, bei Köchen drei von zehn Mitarbeitern. jwo

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