Wie sich die Jugend Gehör verschafft

Saarbrücken · Insgesamt 5000 Menschen beteiligten sich gestern Mittag in Saarbrücken an der traditionellen Gewerkschafts-Kundgebung zum 1. Mai, die diesmal unter dem Motto stand „ Mehr Zeit für Solidarität“.

 Vor der Kundgebung am Schloss demonstrierten die Teilnehmer in der Innenstadt. Foto: Becker & Bredel

Vor der Kundgebung am Schloss demonstrierten die Teilnehmer in der Innenstadt. Foto: Becker & Bredel

Foto: Becker & Bredel

. Eine ältere Dame blickt verwundert zur Bühne und sagt zu ihrem Begleiter: "Das macht der aber ganz schön gut." Sie ist nicht die Einzige, die sich über das Redetalent und die Ausdrucksstärke des jungen Mannes wundert, der nicht nur durch seine Botschaften Aufsehen erregt, sondern auch die Art, in der sie vorträgt: Mal Fortissimo, so dass er noch bis in den letzten Winkel des Schlossplatzes zu hören ist, mal pianissimo, um die Spannung auf das zu erhalten, was er mitzuteilen hat. Timo Ahr, Jugendausschuss-Vorsitzender der IG Metall Völklingen und Sohn des Saarstahl-Betriebsratschefs Stefan Ahr, sorgt auf der Mai-Kundgebung dafür, dass sich die Jugend mit ihren Botschaften bei allen Gehör verschafft.

Superreiche sollen mehr zahlen

Selbst "alte Hasen" wie DGB-Chef Eugen Roth , der IG-Metaller Robert Hiry, Hanspeter Kurtz und Isolde Ries lächeln angesichts dieser Art des Vortragsstils bewundernd in sich hinein, weil sie wissen: Genau auf diese Art haben auch sie ihre Karrieren mal begonnen. Mit Überzeugung und Stimme.

Auf der Maikundgebung fordert Ahr mehr Anstrengungen der Politik für zusätzliche Ausbildungsplätze . 2015 hätten deutschlandweit rund 82 000 Jugendliche keine Lehrstelle gefunden. Hinzu komme, dass jährlich durch Warteschleifen in Form von Qualifizierungsmaßnahmen rund eine viertel Million junger Menschen nicht in der Statistik als Ausbildungsplatzsuchende auftauchen. "Die Politik rechnet sich die Zahlen schön", so Ahr. Auch die von der Wirtschaft zugesagte Allianz für Ausbildung habe bisher ihr Ziel verfehlt: Aus den 20 000 zugesagten zusätzlichen betrieblichen Ausbildungsstellen seien bis heute nur 7000 geworden. Nur 20,3 Prozent der Betriebe bildeten überhaupt aus. Das sei der niedrigste Stand seit 1999.

"Über 1,3 Millionen junger Erwachsener zwischen 20 und 29 stehen ohne Berufsabschluss da", kritisiert Ahr, der in seiner Rede einen weiten Bogen spannt; vom Lehrermangel über schlechte Ausstattung in Berufsschulen, die Rente mit 70, die er strikt ablehnt, bis hin zum Flüchtlingsstrom. Die Gewerkschaftsjugend nehme hier eine klare Haltung ein: "Wir haben, wie wir das schon immer gesagt haben, eingestanden für Integration und für eine offene und multikulturelle Gesellschaft." Das Saarland habe hier von Anfang an vorbildlich gehandelt. Solidarität könne in der Region vorausgesetzt werden, für rechtspopulistische Parolen sei kein Platz.

Auch die Hauptrednerin der Kundgebung unter dem Motto "Mehr Zeit für Solidarität", Ute Kittel vom Verdi-Bundesvorstand, befasst sich mit den Flüchtlingen. "Die Basis aller Diskussionen sind unsere demokratische Grundordnung und das Grundrecht auf Asyl." Für Fremdenhass und rassistische Gewalt sei in Deutschland kein Platz. Deutschland spare an der falschen Stelle: an Lehrern, Kitas, Polizisten, Krankenhäusern, Wohnungsbau, Straßen und Schulen. Alleine die Kommunen schöben einen Investitionsstau von rund 132 Milliarde Euro vor sich her. Geld sei genug da, sagte Kittel . Man müsse dann allerdings "die Vermögenden und Superreichen" mit höheren Steuern bei Spitzeneinkommen, großen Erbschaften und Kapitalerträgen heranziehen.

Der Mindestlohn habe "Arbeit aufgewertet, Armut bekämpft und die Wirtschaft angekurbelt", so Kittel . Selbst im Gastgewerbe, im Handel und im Verkehrssektor schafften die Unternehmen mehr Jobs. Lohnentwicklung und Beitragssatz müssten wieder ausschlaggebend sein für die Rentenhöhe, die Rentenformel müsse korrigiert werden. Die Schere zwischen Arm und Reich werde immer größer. Es sei eine der Hauptaufgaben der Gewerkschaften , dem entgegenzuwirken. Zur Solidarität in der Gesellschaft gebe es keine Alternative. Dem schloss sich auch DGB-Chef Eugen Roth an, der mehr Mitbestimmung forderte.

Meinung:

Solidarität bleibt aktuell

Von SZ-Redakteur Thomas Sponticcia

Für nicht wenige mag der 1. Mai nur noch ein willkommener Anlass für einen Ausflug sein. Doch der "Tag der Arbeit" mit seinen Gewerkschaftskundgebungen ist auch heute nach wie vor aktuell: ein Akt der Solidarität unter den Arbeitnehmern. Denn es ist heute schwerer denn je geworden, in der immer komplizierteren Arbeitswelt noch ihre Interessen wahrzunehmen. Ging es früher mit dem "Tag der Arbeit" darum, für eine Verkürzung der Arbeitszeit zu kämpfen, so sind heute ganz andere Probleme zu lösen. Der Trend zu Auslagerungen von Leistungen aus Betrieben bei deutlich geringerer Bezahlung trifft immer mehr Menschen. Prekäre Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit, Werkverträge und Teilzeit nehmen zu, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ab. All das geht auch zu Lasten der Renten und der Lebensqualität. Gute Rendite und Prämien für Führungskräfte können nicht alleiniges Ziel in Unternehmen sein. Arbeit muss sich lohnen. Man muss davon leben können. Hier sind die Gewerkschaften heute gefragter denn je, um daran mitzuwirken.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort