„Sachliche Argumente sind stärker als poltern“

Homburg · Von der Lehre zum Elektro-Installateur bis zum ersten Bevollmächtigten der IG-Metall Homburg-Saarpfalz: Werner Cappel hat in 46 Jahren Gewerkschaftsarbeit viele Veränderungen in der Arbeitswelt mit geprägt. Am Sonntag verabschiedet ihn die Delegiertenkonferenz in den Ruhestand.

 Werner Cappel ist stolz auf die Bilanz der Verwaltungsstelle Homburg-Saarpfalz. Foto: IG Metall

Werner Cappel ist stolz auf die Bilanz der Verwaltungsstelle Homburg-Saarpfalz. Foto: IG Metall

Foto: IG Metall

. Diesen Moment vergisst der scheidende Chef der IG Metall Homburg nie: Unten läuft schon die Bescherung, während der damals 14-jährige Elektroinstallateurs-Lehrling Werner Cappel noch an Heiligabend mit seinem Meister auf dem schneeglatten Dach steht, um Antennen zu montieren. Nach TV-Geräten herrscht Anfang der 70er Jahre eine riesige Nachfrage. Cappel ahnt damals schon, dass da irgendwas falsch läuft in der Arbeitswelt.

Den Gesellenbrief in der Tasche wechselt er mit 17 als Facharbeiter zu Grundig. Dort entdeckt ihn 1970 die IG Metall , erst als Jugendvertreter, dann als Vertrauensmann. Mit 21 Jahren wird er der jüngste Betriebsratsvorsitzende Deutschlands. Sein Verhandlungsstil bleibt bis heute gleich: "Sachliche Argumente sind stärker, als polternd aufzutreten. Das ist nicht mein Stil." Dennoch könne die Gewerkschaft notfalls auch mit Arbeitskämpfen als letztem Mittel reagieren. "Auch den Arbeitgebern ist klar, dass wir sehr gut organisiert sind. Die Reihen stehen", sagt Cappel.

Schon im Grundig-Werk Rammelsbach in der Pfalz kommt die erste Herausforderung. Die Frauen in der Akkord-Produktion sitzen auf "herkömmlichen Holzstühlen, wie sie in Küchen standen. Die verursachten regelmäßig Kreuzschmerzen." Die Arbeitnehmer-Vertreter erreichen, dass ergonomisch angepasste Stühle angeschafft werden. Die Beschäftigten nennen sie auch "die neuen Stühle von Willy Brandt ". Der damalige SPD-Bundeskanzler genießt bei Arbeitnehmern und bei Werner Cappel besonders hohes Ansehen. "Er führte die Mitbestimmung in einem neuen Betriebsverfassungsgesetz ein und zeigte so, dass man etwas für Arbeitnehmer tun kann. Mich hat dieser Mann mit seinem Charisma und Auftreten so beeindruckt, dass ich auch in die SPD eingetreten bin."

Später folgt manche Enttäuschung. "Mit 500 000 Leuten haben wir in Bonn gegen Pläne von CDU-Kanzler Helmut Kohl demonstriert, der die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall kippen wollte. Von Ex-SPD-Kanzler Gerhard Schröder bin ich heute noch enttäuscht. Seine Agenda 2010 gegen einen angeblich verkrusteten Arbeitsmarkt hat vor allem zu mehr Leiharbeit geführt." Und Oskar Lafontaine ? "Zu seiner Zeit als Bundes-Finanzminister bin ich davon ausgegangen, dass er Politik im Interesse der Linken und der Arbeitnehmer macht. Mit seinem Rücktritt hat er viele Hoffnungen zerstört." Die Gewerkschaft sei nicht einseitig. "Wir sind nicht Steigbügelhalter für eine bestimmte Politik oder bestimmte Politiker. Wir tragen unsere Positionen in alle demokratischen Parteien hinein", sagt der scheidende erste Bevollmächtigte, der 16 Jahre in diesem Amt tätig war und sich am 29. Februar, einen Tag nach seinem 65. Geburtstag, in die Rente verabschiedet.

Auf die Bilanz ist Cappel stolz. Im Ranking der in der IG Metall organisierten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liege die Verwaltungsstelle im Bezirk Mitte auf Platz zwei hinter Völklingen. Cappel verweist auf 15 628 Mitglieder, davon sind 10 390 in 48 betreuten Betrieben beschäftigt. 1714 Abgängen wie Austritten und Sterbefälle zwischen 2012 und 2015 stünden 2544 Neuaufnahmen gegenüber. Sorgen macht sich Cappel um Bosch. Er befürchtet, dass der Standort immer weiter abgeschmolzen wird. "Bosch-Homburg hatte mal 6500 Beschäftigte, heute sind es nur noch 4700." Seit 14 Jahren würden keine Festangestellten mehr eingestellt. Das Management müsse sich auch mehr Gedanken über Alternativen zum Diesel machen.

Was sich Cappel wünscht? "Dass Deutschland das Thema Flüchtlinge in den Griff bekommt. Bisher hat noch niemand etwas abgeben müssen." Man müsse Flüchtlinge integrieren und ihnen Arbeit geben. "Da ist die ganze Gesellschaft gefordert. Europa muss mehr tun. Das wird anstrengend. Aber man kann es schaffen."

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