„Stahlindustrie wird benachteiligt“

Der weltgrößte Stahlproduzent Arcelor-Mittal mit Sitz in Luxemburg rechnet künftig mit weniger Stahl-Anbietern auf den Märkten. Eine Konsolidierung in der Branche sei notwendig, um weltweite Überkapazitäten auf ein normales Maß zurückzuführen. Mit Wim Van Gerven, dem Europa-Chef des Unternehmens, sprach SZ-Redakteur Thomas Sponticcia.

Wie beurteilen Sie die Stahlkonjunktur?

Van Gerven: Der Tiefpunkt auf dem europäischen Stahlmarkt ist durchschritten. Ich sehe aber wenig Wachstum in Europa. Wir werden daran arbeiten, unsere Marktanteile zu behaupten und unsere Produkte durch Innovationen mit hoher Wertschöpfung zu stärken.

Wie entwickelt sich der deutsche Markt?

Van Gerven: Der deutsche Markt zeigt sich in einer soliden Verfassung. Bereits in den vergangenen Jahren haben wir in Deutschland schwarze Zahlen geschrieben. Derzeit beobachten wir, dass die Nachfrage wieder auf das Niveau von 2006 ansteigt. Damit ist Deutschland der einzige Markt, der wieder nahezu auf dem Vorkrisenniveau angekommen ist. 2015 gehen wir von einer Erhöhung der Stahlnachfrage um zwei Prozent in Deutschland aus. Für uns ist die Autoindustrie treibende Kraft. Auch der Bereich der weißen Ware zieht an. Das hilft uns. Wir produzieren auch eine große Palette an Stählen für Haushaltsartikel.

Wie wichtig ist für Sie der deutsche Markt?

Van Gerven: Außerordentlich wichtig, denn er stellt besonders hohe Anforderungen an die Qualität der Produkte, gerade auch von Seiten der Autohersteller. Wir wollen noch wettbewerbsfähiger werden. Deshalb versuchen wir, weitere Karosserieteile im Fahrzeug durch noch dünnere, von uns entwickelte Stähle leichter zu machen. Wir haben hierfür über 60 Lösungen entwickelt. Dabei können wir das Gewicht einer Autokarosserie um mehr als 20 Prozent reduzieren - kostenneutral. Gleichzeitig wird die Fahrsicherheit gewährleistet. Wir besetzen neue Geschäftsfelder und konzentrieren uns auch auf erneuerbare Energien, zum Beispiel mit Stahl für Windparks. Der Wikinger-Windpark an der Küste von Rügen ist ein gutes Beispiel. Dort haben wir 23 000 Tonnen Grobblech für die Tragstrukturen von 29 Windrädern geliefert.

Warum investieren Sie 2015 in Deutschland weniger als in den Vorjahren?

Van Gerven: Wir haben alleine in den vergangenen fünf Jahren 630 Millionen Euro in die Modernisierung unserer vier Werke in Deutschland investiert. Auch haben wir für 135 Millionen Euro eine neue Drahtstraße gebaut, das kommt nicht jedes Jahr. 2015 kommen 88 Millionen Euro hinzu. Wir würden noch mehr investieren, aber die Energie- und Klimapolitik bereitet uns Sorgen - es mangelt an Planungssicherheit, die für Investitionen sehr wichtig ist.

Sie sehen die Stahlbranche vor größeren Veränderungen.

Van Gerven: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und Kapazitäten in Europa angepasst. Aber es sind weltweit zu viele Anbieter auf dem Markt. Wir glauben, dass Konsolidierung in der Branche notwendig ist, damit die weltweiten Überkapazitäten auf ein normales Niveau zurückgeführt werden, um auf Konjunkturschwankungen reagieren zu können. Aktuell wird die Lage zusätzlich erschwert durch die hohen Stahl-Importe nach Europa, die 2014 auf 14 Prozent gestiegen sind. Der größte Teil dieser Importe kommt mittlerweile aus China. Gleichzeitig schrumpft in Russland wegen der dortigen Krise die Inlandsnachfrage. Deshalb drängen immer mehr russische Stahlproduzenten auf die internationalen Märkte. Wir können uns in diesem Umfeld zwar immer noch behaupten - wenn diese Entwicklung aber weiter andauert, verdient man mit europäischem Stahl immer weniger.

Was bedroht die europäische Stahlindustrie am meisten?

Van Gerven: Die strengen Vorgaben der EU zur Senkung von CO{-2}-Emissionen. Die Klimaschutzkosten können wir nicht selbst beeinflussen, da es sich um politische Vorgaben handelt. Hinzu kommt, dass für unsere Wettbewerber weltweit völlig unterschiedliche Voraussetzungen gelten. Wie will man in einem solchen Umfeld verlässlich Investitionen planen?

Wie realistisch sind die Vorgaben der EU aus Ihrer Sicht?

Van Gerven: So, wie die Vorgaben derzeit sind, wird die Stahlindustrie benachteiligt. Denn gerade die europäische Stahlindustrie hat in den vergangenen Jahren Milliarden in ihre Anlagen investiert, damit der Verbrauch von CO{-2} und anderen Schadstoffen stark gesenkt wird. Allerdings kann man Europa im Stahlmarkt nicht isoliert betrachten. Wir stehen in einem weltweiten Kosten-Wettbewerb mit Ländern, in denen solch strenge gesetzliche Vorgaben nicht existieren. Deshalb brauchen wir weltweit vergleichbare Standards, Transparenz in den Vorgaben und gleiche Bedingungen für alle. Geschieht nichts, droht eine Abwanderungs-Welle europäischer Stahlhersteller. Ich habe aber den Eindruck, dass sich in Brüssel Stimmen mehren, die das Problem realistisch beurteilen - doch es gibt noch zu wenig Realisten.

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HintergrundArcelor-Mittal als weltgrößter Stahlhersteller mit Stammsitz in Luxemburg ist in 60 Ländern vertreten und beschäftigt 220 000 Mitarbeiter. Davon sind 100 000 Beschäftigte an 400 Standorten europaweit tätig. 46 Prozent des Stahls wird in Europa hergestellt, 43 Millionen Tonnen Rohstahl 2014. Davon werden sieben Millionen Tonnen in Deutschland produziert. Hier betreibt Arcelor-Mittal vier Werke. Hauptabnehmer sind die Autoindustrie, gefolgt vom Bau und Maschinenbau. Im Saarland hält Arcelor-Mittal eine 30-prozentige Beteiligung an der DHS - Dillinger Hütte Saarstahl AG . ts

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