Ceta droht ein Stopp

Brüssel · Das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada steht vor dem Scheitern. Die Ratifizierung in der EU stockt. Auch sorgen Spekulationen für Ärger, die EU-Kommission könne Teile von Ceta eigenmächtig in Kraft setzen.

 Am Donnerstag gab es vor dem Bundeswirtschaftsministerium Proteste gegen Ceta. Foto: dpa

Am Donnerstag gab es vor dem Bundeswirtschaftsministerium Proteste gegen Ceta. Foto: dpa

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Das Ärgernis hat vier Buchstaben und umfasst 1600 Seiten Vertragstext: Ceta. Eigentlich ist das Freihandelsabkommen mit Kanada, von vielen als "kleiner Bruder" der geplanten TTIP-Vereinbarung mit den USA bezeichnet, seit Februar ausverhandelt. Doch es gibt Streit.

Zuerst legte sich in dieser Woche Rumänien quer, weil die Regierung in Ottawa sich offenbar weigert, die versprochene visafreie Einreise auch auf Bürger aus dem östlichen EU-Land auszudehnen. Dann kündigte der Premierminister der belgischen Region Wallonien, Paul Magnette, an, die Annahme des Ceta-Textes zu verweigern. Und dann wird in den Niederlanden auch noch ein neues Referendum vorbereitet wird: Bereits über 100 000 Einwohner haben eine Petition unterschrieben, die zu einer Volksabstimmung über TTIP und Ceta führen soll - nach dem Ukraine-Abkommen eine weitere Möglichkeit, der EU eine Ohrfeige zu verpassen.

Doch richtig viel Ärger lösten Spekulationen aus, die EU-Kommission könne möglicherweise schon im Mai Teile des Vertrags, die sich auf reine Handelsfragen beziehen, in Kraft setzen - ohne die Abstimmung in den 28 National-Parlamenten und in der Volksvertretung der EU abzuwarten. "Das entspricht nicht der Wahrheit", bemühte sich die sozialdemokratische EU-Abgeordnete Kerstin Westphal die Gerüchte zu entkräften. Auch Bernd Lange (SPD ), Chef des Handelsausschusses im Parlament, wies darauf hin, dass es sich um ein sogenanntes "gemischtes Abkommen" handele, bei dem die "nationalstaatliche Zuständigkeit" berührt werde. Deshalb sei die Ratifizierung durch die Parlamente nötig.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD ) hatte sich erst vor wenigen Tagen überzeugt gezeigt, dass Ceta "einfach ein gutes Abkommen" sei. Mehr noch: Die besonders umstrittenen Regelungen für private Schiedsgerichte sehe er als "exzellente Messlatte" für den größeren EU-USA-Vertrag. Zwar hatte die EU-Kommission unter dem Eindruck immer breiterer öffentlicher Proteste einen Vorschlag präsentiert, um die geheim tagenden privaten Schiedsgerichte durch öffentliche Schlichtungshöfe für Handelsfragen zu ersetzen. Doch dieser Vorstoß kam für Ceta zu spät und könnte deshalb höchstens bei TTIP zur Anwendung kommen. Mit möglicherweise fatalen Folgen. Mitte dieser Woche legten sieben Vereine von Juristen und Menschenrechtlern einen Aufruf vor, in dem sie vor Ceta warnen und den Text als "nicht grundgesetzkonform" einstufen. "Die in Ceta vorgesehenen Schiedsgerichte sollen ohne Bindung an das Europäische Recht, an das Grundgesetz und weitere deutsche Gesetze entscheiden können", heißt es in dem Papier. Das würde dazu führen, dass sich private Firmen "bei ihren Entscheidungen über europäisches und deutsches Recht hinwegsetzen" könnten.

Ceta sei "in schwerem Wasser", sagen viele in Brüssel . Korrekturen würden bedeuten, das komplette Paket aufzuschnüren, wobei - so betonen Unterhändler der EU - viele "gute und sinnvolle Vereinbarungen wieder zur Disposition stünden". Dabei habe man doch in den sechsjährigen Verhandlungen viel rausgeholt: Zum einen habe Ottawa geschützte Bereiche des kanadischen Marktes für europäische Anbieter geöffnet. Zum anderen akzeptierten die neuen EU-Partner Ausnahmen vom Wettbewerb wie soziale Dienstleistungen, Krankenhäuser oder den Einzelhandel mit Arzneimitteln.

Meinung:

Der Vertrag gehört geändert

Von SZ-Korrespondent Detlef Drewes

Das Abkommen zwischen der EU und Kanada ist besser als sein Ruf. Es sieht auch Dinge vor, die Gegner immer gefordert haben: etwa Ausnahmen für Dienstleistungen der Daseinsvorsorge. Doch darum geht es nicht. Ceta hat sich - wie der TTIP-Vertrag mit den USA - zum Ventil entwickelt, um Enttäuschung und Wut über die EU abzulassen. Dabei krankt das Abkommen an einem ganz anderen Punkt. Im TTIP-Streit hatte die EU-Kommission nämlich vorgeschlagen, die privaten Schiedsgerichte zu öffentlich tagenden Handelsgerichten umzubauen. Von den Mitgliedstaaten und der Öffentlichkeit zu verlangen, dass man bei Ceta eine schlechtere Lösung hinnimmt, weil das Abkommen zu diesem Zeitpunkt schon verhandelt war, ist unverständlich. Man unterschreibt keinen Vertrag, der nicht so gut ist, wie man ihn haben will. Man ändert ihn.

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